Hokus Pokus Zuckerkuss
»Eine Stunde lang musste ich draußen stehen, bis ich nun auf einer Bank an einem winzigen Tisch in einem Restaurant sitze, in dem man mir Innereien serviert. Genauso gut könnten wir in der polnischen Kneipe bei mir um die Ecke Innereien für fünf Dollar essen. Darauf müssten wir nicht warten. Und ich würde auf einem Stuhl sitzen, nicht auf einer Bank.«
»Aber dort hättest du den Tanga dieses Mädchens nicht gesehen«, wendet Valencia fröhlich ein.
»Ja, das ist wahr«, stimmt er zu.
Ich werfe ihr einen giftigen Blick zu. Natürlich kann sie nichts dafür, dass sie so perfekt ist – groß und gertenschlank, mit dunklem glattem Haar, von einer exquisiten Silberspange aus der Stirn gehalten, die fabelhaft zu ihrem ärmellosen rubinroten Etuikleid passt. Auch an ihrem Charme, ihrer Intelligenz und ihrem geistreichen Witz darf ich ihr keine Schuld geben. Sogar ihre Pediküre ist perfekt.
Am liebsten würde ich über die Samtpolsterung der Bank hinweggreifen, auf der wir sitzen, und an diesem perfekten Haar zerren, bis ihr Kopf gegen die Tischkante prallt. Dann würde ich sie durch das Lokal schleifen. Und möglicherweise, wenn wir an
der Junggesellinnenparty am Nachbartisch vorbeikommen (seit wann finden so viele Junggesellinnenpartys in New York statt, dass man nirgendwohin gehen kann, ohne auf eine zu stoßen?), würde ich sie loslassen und rufen: Da, nehmt sie, Mädchen! Übrigens, sie kriegt bald eine feste Professur an der Universität! Wenn sie mit ihr fertig sind, werde ich sie Chaz vielleicht zurückgeben – falls er sie noch will.
Oh, Moment mal – habe ich das wirklich gedacht?
Nein. Weil ich zu beschäftigt damit bin, mehrere SMS mit Ava Geck auszutauschen, um so was zu denken.
Ava: Lizzie, wo bist du?
Ich: Im Spotted Pig im West Village. Warum?
Ava: ICH KOMME.
Ich: Was? Ava, wieso bist du nicht in Griechenland?
Keine Antwort. Als ich ihre Handynummer wähle, meldet sich nur die Mailbox. Ich bin mir nicht sicher, ob die Ankündigung ICH KOMME tatsächlich bedeutet, sie würde im Restaurant aufkreuzen. Da ich Ava kenne, könnte es genauso gut heißen, sie würde gerade einen Orgasmus haben und mir gleichzeitig eine SMS schicken.
Dieser Frau traue ich alles zu.
»Also, ich will euch was fragen«, beginnt Chaz, als die Kellnerin die Austern serviert, die Luke bestellt hat. Heute Abend esse ich keine Austern. Nicht, weil ich eine Aversion gegen Austern hege, sondern weil
ich im Juni keine Lebensmittelvergiftung riskieren will. Immerhin muss ich zwanzig nervöse Bräute mit Kleidern versorgen. Sonst ist mein Name in dieser Stadt ruiniert.
Ich meine, der Name vom Chez Henri.
»Schieß los«, sagt Luke. Er ist gut gelaunt, weil seine Vorlesungen beendet sind. Ob er seine Prüfungen bestanden hat, weiß er nicht genau. Doch das scheint ihn nicht sonderlich zu stören. Er ist einfach nur froh, dass es vorbei ist und dass er in zwei Tagen nach Paris fliegen wird.
Wenn ich mich nicht so schuldig fühlen würde, weil ich im letzten Monat kaum ein paar Minuten Zeit für ihn hatte (und die werde ich in den beiden Tagen, die er noch in New York verbringen wird, auch nicht haben), wäre ich jetzt sauer. Freut er sich wirklich so sehr, dass er mich den ganzen Sommer allein lassen wird?
»Setzt ihr zwei irgendwann ein Hochzeitsdatum fest?«, will Chaz wissen. »Oder soll das die längste Verlobung der Geschichte werden?«
Ich verschlucke mich an meinem Wein. Unfassbar … Hat er das tatsächlich gefragt? Sicher, zur Abwechslung ist es erfrischend, wenn sich jemand bei mir und Luke nach unserer Verlobung erkundigt. Nicht nur bei mir. Luke ist es, der solchen Fragen dauernd ausweicht und sich anscheinend mit dem derzeitigen Zustand zufriedengibt – er wohnt im Luxusapartment seiner Mutter an der Fifth Avenue, ich in meiner schäbigen Bude an der East Seventy-eighth. Dort muss ich ein Feuerzeug anknipsen,
wenn ich die Haustür öffne, und ein Haarspray mitnehmen, falls ein Vergewaltiger statt eines UPS-Manns vor mir steht.
Und – okay, ich kann noch immer nicht an meine eigene Hochzeit ohne dieses flaue Gefühl im Magen denken, ohne die verräterischen Flecken … O Gott, wieder einer in meiner Armbeuge!
Trotzdem. Wenn’s um Hochzeitsvorbereitungen geht – warum wird ständig nur die Braut danach gefragt und nie der Bräutigam? Seit Monaten nervt mich meine Familie. Von Seiten der de Villiers höre ich keinen Pieps. Ob sie für mich eine Verlobungsparty schmeißen? Fehlanzeige. Meine Familie hat
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