Hokus Pokus Zuckerkuss
muss nicht im Rückwärtsgang aus dem Zimmer stolpern, wenn ich nackt bin, um meine Kehrseite zu verbergen. Falls ich das täte, würde er mich sicher fragen, was zum Teufel ich denn treibe. Luke hat es nie bemerkt oder sich darüber gewundert.
Vermutlich kommt das davon, dass ich ein Flittchen geworden bin. Wenn man seine moralischen Prinzipien aufgibt, verliert man alle Hemmungen.
Jedenfalls bin ich nicht die Erste im Laden. Sylvia und Marisol sind schon da und arbeiten an dem Kleid im Cocktailstil aus Tüll und Spitze von I. Magnin & Co. aus den Fünfzigerjahren. Die Mutter einer punkigen Braut hat es getragen, und die will sich ebenfalls reinzwängen, obwohl sie Kleidergröße 40 trägt und ihre Mom 36. Wir haben ihr versichert, wir würden das hinkriegen.
Aber so, wie Sylvia und Marisol mich anstarren, den Mund weit offen, fürchte ich, wir werden an diesem Tag nicht viel zustande bringen – geschweige denn, ein I.-Magnin-Cocktailkleid von Größe 36 auf 40 zu erweitern.
»Was ist los?«, frage ich und starre zurück.
Sie wissen es. Keine Ahnung, wieso. Aber es ist offensichtlich. Genauso gut könnte es in großen scharlachroten Buchstaben auf meiner Brust stehen.
Großartig. Die Chefin ist ein Flittchen. Wenn Tiffany hier ankommt, werden es in einer Stunde alle Leute in Manhattan wissen (und in Teilen von North Dakota, woher Tiffany stammt).
Wie soll ich die Situation meistern? Im Fortune Small Business ist kein einziger Artikel über das Problem erschienen, wie sich eine Chefin verhalten soll, wenn alle ihre Angestellten wissen, dass sie mit dem besten Freund ihres Verlobten geschlafen hat. Zumindest glaube ich das nicht. Verdammt, ich hätte mich lieber auf diese Zeitschrift konzentrieren sollen statt auf US Weekly .
»Sieht gut aus«, sage ich über das Brautkleid, an dem die zwei Frauen arbeiten. Sie haben alle Nähte in der Taille und am Oberteil aufgetrennt. Nun werden sie Spitzenteile aus einem Stretchmaterial einsetzen – einem guten Freund dicker Mädchen –, an möglichst diskreten Stellen. Ja, das ist es – vielleicht kann ich sie ablenken, indem ich ihre Arbeit lobe.
Die beiden wechseln einen Blick.
»Tut mir so leid, was mit Ihrer Großmutter geschehen ist, Lizzie«, sagt Marisol.
»Ja, mir tut’s auch sehr leid«, ergänzt Sylvia.
Einige Sekunden lang blinzle ich, dann geht mir ein Licht auf – sie glauben gar nicht, dass ich ein Flittchen bin! Und sie haben mich nicht missbilligend angegafft. Sie wussten einfach nicht, was sie
sagen sollten, weil ich erst gestern vom Begräbnis meiner Großmutter zurückkam.
Heiliger Himmel, wie blöd ich bin!
»Oh«, erwidere ich lächelnd, »vielen Dank. Sie – hatte ein schönes, langes Leben.«
Jetzt fühle ich mich viel besser – weniger desorientiert und bereit, nachzuholen, was ich versäumt habe, inklusive der telefonischen Nachrichten, die ich abhören muss (nicht allzu viele wegen des Wochenendes). Eine Stunde später wandert Tiffany herein, schaut mich kurz an und ruft: »O mein Gott! Heute Morgen hattest du Sex.«
Prompt verschlucke ich mich an meiner Cola light, meiner zweiten an diesem Morgen.
»W-was?«, stottere ich und versuche, die Cola nicht auf den Terminkalender zu spucken, der geöffnet vor mir liegt. »Wovon redest du? Natürlich stimmt das nicht.«
»Versuch bloß nicht, es zu leugnen!«, mahnt sie verächtlich und trippelt in ihren geschnürten Fünfzehn-Zentimeter-Stilettos zu mir. »Meinst du denn, ich sehe es dir nicht an, wenn du am Morgen Sex hattest? Und wer immer es auch war, es hat dir gut getan. Wer war’s denn? Luke kann’s nicht gewesen sein. Noch nie hast du so glücklich gestrahlt. Das ist ja fast abstoßend.« Mit schmalen Augen mustert sie mich. »O mein Gott, Lizzie! Du und Chaz …«
»NEIN!« Ich springe hinter dem Schreibtisch auf und wedle wie eine Verrückte mit beiden Armen. »Natürlich nicht!«
»Ach, du meine Güte!« Langsam breitet sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. »Du warst mit dem besten Freund deines Verlobten im Bett, du Flittchen.«
» Nein !«, protestiere ich. »Das schwöre ich dir!«
»Und jetzt lügst du.« Tiffany greift in ihre Marc-Jacobs-Tasche und holt ihr Handy hervor. »Das muss Monique sofort erfahren. Und Raoul. Eigentlich fällt mir keine Person ein, die es nicht sofort wissen muss. Oh, das ist so krass! Die kleine Miss Prüdes Höschen hat’s an diesem Wochenende mit dem besten Freund ihres Verlobten getrieben. O Scheiße, mit dem Ex ihrer besten
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