Hokus Pokus Zuckerkuss
ich total vergessen …«
EINE KURZE GESCHICHTE DER EHE
Viele Jahre lang glaubte man, der Brautschleier – traditionsgemäß über dem Gesicht getragen – würde die Braut vor bösen Geistern schützen.
Aber neuerdings behaupten die Historiker, der Brautschleier sollte einen praktischeren Zweck erfüllen: Bei einer arrangierten Heirat durfte der Bräutigam das Gesicht der Braut erst erblicken, wenn die Zeremonie beendet war. Eine ziemlich ungalante Interpretation – aber haben Sie schon mal diese Porträts aus dem zwölften Jahrhundert gesehen?
WIE MAN KATASTROPHEN AM HOCHZEITSTAG VERMEIDET
Sorgen Sie dafür, dass die Farbe Ihres Schleiers zum Brautkleid passt! Es gibt verschiedene Nuancen von Weiß. Niemals dürfen Sie einen elfenbeinfarbenen Schleier mit einem schneeweißen Kleid kombinieren. Sie denken vielleicht, der Unterschied würde nicht auffallen. Aber glauben Sie mir, auf den Fotos sieht man ihn. Und er wird Sie im Lauf der Jahre allmählich zum Wahnsinn treiben, wenn Sie Ihre Hochzeitsfotos betrachten. Also wählen Sie einen Schleier und ein Kleid in derselben Farbe. Sie wollen doch keinen Fehler machen.
LIZZIE NICHOLS DESIGN ®
19
Ehe – ein Buch, bei dem das erste Kapitel
in Lyrik verfasst ist, und die übrigen in Prosa.
BEVERLEY NICHOLS (1898 – 1983), ENGLISCHER
SCHRIFTSTELLER UND DRAMATIKER
»Ich hätte es Ihnen erzählen müssen.« Unglücklich schüttet Madame Henri noch ein Päckchen Zucker in ihren Latte macchiato. Wir sitzen in einer Fensternische des Starbucks an der Straßenecke. Nervös späht sie zur Tür des Goldmark-Realty-Büros, durch die ihr Mann soeben mit Miss Lowenstein verschwunden ist, der selbst ernannten Spitzenimmobilienmaklerin der Firma. »Aber es wurde so plötzlich entschieden. Und Sie hatten ohnehin schon die traurige Nachricht über Ihre Großmutter erhalten … Da wollte ich Ihnen das Herz nicht noch schwerer machen – mit dieser betrüblichen Neuigkeit …«
»Das verstehe ich«, lüge ich.
Natürlich verstehe ich nicht, wie sie mir das zumuten können. Nach allem, was ich für sie getan habe! Nach meiner harten Arbeit in diesen letzten sechs Monaten! Klar, es ist ihr Geschäft, und wenn sie’s verkaufen wollen – das ist ihr gutes Recht. Aber ich finde es schrecklich grausam. Auf der Skala der
bösen Mädchen kriegt Madame Henri die Zahl Fünfhundert.
»Also – möchte er wirklich aussteigen?«, frage ich.
»Ja, er wird nach Frankreich zurückkehren«, antwortet sie bedrückt. »Es ist so seltsam. In all den Jahren vor seinem Herzinfarkt flehte ich ihn an, endlich einmal Urlaub zu nehmen und etwas mehr Zeit mit mir in unserem Haus in der Provence zu verbringen. Davon wollte er nichts hören. Für ihn gab es immer nur Arbeit, Arbeit, Arbeit. Dann bekam er den Herzanfall. Und plötzlich will er nicht mehr arbeiten, überhaupt nicht mehr, und nur noch Pétanque spielen. Darüber redet er unentwegt. Pétanque hier, Pétanque dort. Er möchte sich in unser Haus in Avignon zurückziehen und bis zu seinem Tod Pétanque spielen. Seine alten Freunde – seine Schulkameraden hat er schon verständigt, die werden alle ein Team bilden. Eine Pétanque -Liga. Verrückt! Vielleicht sollte ich mich freuen, weil er etwas gefunden hat, das ihm gefällt. Nach der Operation dachte ich, nichts würde ihn jemals wieder interessieren. Und jetzt ist er geradezu besessen von diesem Pétanque -Spiel.«
Ich starre meine Cola-light-Dose an, die ich gekauft, aber noch nicht geöffnet habe. Unglaublich, was mir passiert ist… Wie kann der Tag, der so wundervoll begonnen hat, eine so schreckliche Wendung nehmen?
»Und – die Jungs?«, frage ich. »Sollen sie mit Ihnen nach Frankreich ziehen?«
Dass die Provence den vergnügungssüchtigen Henri-Jungs irgendwas zu bieten hat, bezweifle ich.
»O nein, natürlich nicht«, erwidert ihre Mutter. »Das wollen sie nicht. Erst einmal werden sie ihr Studium beenden, und um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, müssen wir das Haus mitsamt dem Geschäft verkaufen. Leider ist die New York University furchtbar teuer«, fügt sie seufzend hinzu. Ihr Eyeliner, normalerweise sorgsam und fachgerecht aufgetragen, ist verschmiert, und das verrät mir, wie gestresst sie sich fühlt. »Auch wir brauchen das Geld. Wovon sollen wir denn leben, wenn Jean den ganzen Tag nur Pétanque spielt? Ich könnte mir eine Stellung suchen. Aber in Südfrankreich hat eine Frau in mittleren Jahren, die einen Laden für die Erneuerung alter
Weitere Kostenlose Bücher