Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)
weiten Chiffonbluse mit transparentem Blumenmuster, die eine nackte Schulter freigab. Ihr Haar war zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden, ihr Make-up wie immer perfekt.
Wieder griff sich der Direktor an den Hosenbund, und sein Gesichtsausdruck sagte: Auweia!
Manuel und ich konnten uns kaum halten vor Lachen, als wir durchs Fenster im Büro des Direktors beobachteten, wie meine Schwester im Zeitlupentempo am Arm des Oberst die Treppe hinaufschritt. Mit jeder Faser ihres Körpers drückte sie aus: »Hey, ich bin wichtig.« Das war Glam, das war Haltung. Oben streckte sie dem Direktor eine Hand entgegen und sagte: »Guten Tag, Herr Direktor. Ich bin die Schwester von Jorge González und das ist Oberst XYZ. Es tut mir leid wegen der Unannehmlichkeiten mit Jorge und Manuel. Ich arbeite im Ausland und bin gerade auf der Durchreise. Deshalb hatte ich die beiden gebeten, mich nach Varadero zu begleiten. Leider sind sie länger geblieben. Aber dafür werden sie noch Ärger mit mir bekommen.«
»Mit mir auch«, warf der Oberst mit strengem Blick ein.
»Wir werden sie uns vorknöpfen, Herr Direktor. Und die beiden jungen Herren werden die Konsequenzen zu tragen haben«, fügte meine Schwester noch hinzu.
»Sehr gut«, triumphierte der Direktor. »Die zwei haben Glück, dass sie so gute Schüler sind. Sonst hätte ich sie schon längst von der Schule verwiesen.«
Damit war die Sache erledigt, und meine Schwester und der Oberst machten sich wieder auf den Heimweg. Natürlich bekamen wir eine Strafe aufgebrummt und durften ein Wochenende lang nicht nach Hause fahren, sondern mussten die Schulbibliothek putzen und die kaputten Stühle reparieren. Doch das war uns egal. Eine wunderbare Chica und ihre besten Freunde, die High Heels, hatten mit dem erbosten Direktor geflirtet und damit unsere Haut gerettet. Der Spaß war es wert gewesen.
Wenn ihr jetzt glaubt, dass mich meine Schwester von da an in der Hand gehabt hätte, dann täuscht ihr euch. Zeitsprung – ein paar Wochen später. Sobald sich die Wogen um unser Abenteuer in Varadero geglättet hatten, zogen Manuel und ich wieder los. Diesmal wollten wir nach Havanna. Die Hauptstadt war für uns immer eine willkommene Abwechslung. Dort hatten wir das Gefühl, keine Außenseiter zu sein, weil wir jungen Männern begegneten, die wie wir ein zweites Ich hatten. Homosexuelle waren in Kuba immer noch eine Art Virus der Gesellschaft, schlimmer als der Kapitalismus. 1980 hatte Fidel Castro jedem, der es wollte, freigestellt, Kuba zu verlassen. 125 000 Menschen flüchteten damals vom Hafen in Mariel nach Miami. Darunter viele Homosexuelle, die lieber ihre Heimat und ihre Familien zurücklassen wollten, als in Unfreiheit zu leben.
In Havanna gab es einige Stadtteile, in denen sich Homosexuelle – natürlich im Verborgenen – trafen. Zu der liebsten Beschäftigung der jungen Männer gehörte ein kilometerlanger Spaziergang: Erst ging es die Calle 23 entlang, dann machte man Pause in der bekannten Eisdiele »Coppelia« , wo es fresa y chocolate gab, das berühmte Erdbeer- und Schokoladeneis, bevor es weiterging in Richtung Malecón, zur Uferpromenade, die die Altstadt mit dem modernen Regierungs- und Vergnügungsviertel verbindet.
Genau auf dieser Route waren Manuel und ich ein paar Wochen nach der Rettungsaktion meiner Schwester unterwegs und liefen gerade am »Habana libre« vorbei, dem ehemaligen Hilton-Hotel, das schräg gegenüber vom »Coppelia« liegt. Und wer kam in dem Moment aus dem Hotel raus? Meine Schwester, wie immer topgestylt. Aber sie war nicht nur in Begleitung ihrer besten Freunde, der High Heels. An ihrer Seite ging ein verheirateter Mann aus unserem Ort …
Ich zupfte Manuel am Arm, zeigte mit den Augen in Richtung Hoteleingang und flüsterte: »Manuel, unsere »Bank« ist da.«
Wir schlichen den beiden hinterher, wie sie Hand in Hand die Calle 23 entlangschlenderten. Irgendwann überholten wir sie und kamen ihnen aus der anderen Richtung entgegen.
» Hola, chica «, sagte ich grinsend.
Meine Schwester wurde blass. Sie wusste, dass ich wusste – dass sie so etwas wie ein weiblicher Casanova war und jede Woche einen anderen Boyfriend hatte.
»Dürfte ich kurz mit meiner Schwester sprechen«, sagte ich höflich zu ihrem Begleiter.
»Jorge, ich bin hier auf einem Kongress«, zischte sie, als wir ein Stück zur Seite gegangen waren.
Ich sagte nichts und schaute bloß ernst.
»Du darfst zu Hause nichts sagen, hörst du?«, flehte sie. Denn unser Vater
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