Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)
Sonnenaufgang am Strand. Manuel und ich liebten es, im Sand sitzend über den Horizont zu blicken und bis in den Morgen zu philosophieren.
»Denkst du wirklich«, fragte ich ihn in einer sternenklaren Nacht, »dass hinter dieser Linie die Leute machen können, was sie wollen? Einkaufen, auf Partys gehen, mit dem Flugzeug fliegen? Stell dir mal vor, wir wären jetzt in Paris …«
»Mist«, antwortete Manuel, »und wir hocken hier.«
Eines Abends standen wir auf einer Party neben einer wunderschönen Chica und einem gut aussehenden jungen Mann. Die beiden gehörten zu einer Gruppe, die ganz anders als wir gekleidet waren – so europäisch – und Coca-Cola aus dieser für uns Kubaner magischen roten Dose tranken. Deshalb nahmen wir an, dass sie Ausländer sein mussten, denn kein Kubaner konnte sich damals so etwas leisten. Doch als sie anfingen zu tanzen, war mir klar, dass es sich um Kubaner handelte, weil sie nicht nur mit den Beinen und den Hüften tanzten, sondern auch mit den Augen, den Händen, ja, mit dem ganzen Körper.
Irgendwann kamen wir ins Gespräch, und die beiden luden Manuel und mich auf eine Cola ein. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie stolz ich auf diese rote Dose war. Ich hielt sie den ganzen Abend – auch als sie schon leer war – in der Hand. Das war eine Sensation für mich. Ganz ehrlich: Ich habe sie sogar mit nach Hause genommen, Wasser reingetan und bin damit ausgegangen.
Dieses Recyclingverfahren hatte ich vorher schon mit meinem ersten Kaugummi angewendet, den mein Onkel Che, der Seemann, meinen Cousins und mir von seinen Reisen mitbrachte. Wir kubanischen Kinder kannten so etwas nicht. Wir aßen caimitos , eine lilafarbene tropische Frucht mit einer klebrigen Textur, die einem den Mund verklebt und die Zunge dunkel färbt. Deswegen waren wir ganz heiß auf die Kaugummis meines Onkels. Aber weil wir so viele waren, gab es für jeden von uns nur einen Streifen. Einen Streifen, kein ganzes Päckchen! Für mich war das wie pures Gold. Samstags, bevor ich ausging, biss ich ein kleines Stück von dem Streifen ab, und wenn ich in der Nacht nach Hause kam, legte ich das winzige Kaugummistück im Kühlschrank in Pfefferminzlikör ein, um es geschmacklich »aufzubereiten«, damit ich am nächsten Samstag wieder was zu kauen hatte. Insgesamt habe ich so ganze vier Monate an dem einen Kaugummistreifen gegessen.
Auch die Tafel Schokolade, die mein Onkel uns mitbrachte, wurde nach dieser Methode aufgeteilt. Er öffnete die Packung, entfernte behutsam das Silberpapier und zerbrach die Tafel anschließend in lauter einzelne Stückchen, damit alle aus unserer großen Familie etwas abbekamen. So blieb für jeden immer nur ein winziges Stück. Als kleiner Junge verschlang ich meinen Anteil sofort – und machte dann meiner Mama schöne Augen in der Hoffnung, auch ihre Schokolade essen zu dürfen. Und weil sie meinem Augenaufschlag nicht widerstehen konnte, kostete sie ein wenig, lächelte mich an und gab mir ihr Stück. Manchmal denke ich, dass man die Dinge viel mehr schätzen lernt, wenn man ohne sie aufgewachsen ist. Cola, Kaugummi und Co., so etwas gab es nicht bei uns. Auch keine edlen Parfums. Wenn ausländische Touristinnen die kubanischen Museen besuchten, dann schlossen die Wärter sofort die Fenster, damit die Duftwolke, die die Damen umgab, möglichst lange im Raum blieb.
Aber zurück zu den hübschen jungen Leuten auf dem Festival: Irgendwann fragte der junge Mann uns, ob Manuel und ich nicht Lust hätten, mit anderen bei ihm zu Hause weiterzufeiern. Natürlich wollten wir das und wurden gleich darauf mit Chauffeur zu einer Villa gefahren, die zu einem großen Hotelresort gehörte. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich so ein imposantes Gebäude betrat – so etwas konnten sich zu der Zeit nur Ausländer leisten oder Kubaner, die eine hohe Position beim Militär, in der Politik oder im diplomatischen Dienst hatten.
Für »normale« Kubaner blieb es ein Traum, diese in ihren Augen luxuriösen Resorts zu betreten. Es war ihnen auch verboten, in die Shops zu gehen, in denen man nur mit Dollar beziehungsweise ausländischen Devisen bezahlen konnte. Sie durften zwar die gleichen Restaurants besuchen wie die Touristen, mussten aber ewig lange anstehen. Wenn sie dann endlich einen Platz ergattert hatten, saßen sie separat von den Touristen. Und während diese für ihre Devisen ein leckeres Essen bekamen, wurden die Kubaner gegen einen Coupon mit einem Standardgericht und einem
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