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Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)

Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)

Titel: Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge González
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was«, antwortete ich und legte möglichst viel Überzeugungskraft in meine Stimme, »was ich bis heute nicht weiß, werde ich bis morgen auch nicht können. Ich gehe tanzen.«
    Nach diesen Worten marschierte ich los.
    Am nächsten Tag in der Physikprüfung lief es für mich richtig gut. Innerhalb von fünfundvierzig Minuten war ich mit allen Fragen durch und gab meinen Prüfungsbogen ab. Nur damit es kein Missverständnis gibt: Ich war ein fleißiger Schüler. Ich habe viel gelernt und war immer gut vorbereitet. Wenn Manuel und ich an den Wochenenden auf Entdeckungstour in Kuba unterwegs waren oder die Schule schwänzten, las und lernte ich im Bus oder im Auto, wenn wir per Anhalter fuhren. Denn ich war neugierig und wollte alles wissen und verstehen. Aber neben dem Lernen wollte ich auch Spaß haben.
    Nach dem Prüfungsmarathon mussten wir wochenlang auf die Ergebnisse warten. Ina und ich telefonierten täglich, die Spannung war kaum auszuhalten. Denn nur eine bestandene Prüfung verschaffte mir die ersehnte Eintrittskarte für Europa. Meine Geduld sollte bis zum Schluss auf die Probe gestellt werden.
    Mitte Juni, es war ein Freitag, besuchte ich meine Mutter in der Arbeit – sie war damals als Verkäuferin in einem Kurzwarenladen angestellt. Als ihre Kollegen mich kommen sahen, liefen alle vor die Tür und empfingen mich mit den Worten: »Jooorge, du gehst nach Jugoslawien.«
    Entsetzt schrie ich nur: »Waaas???!«
    »Du gehst zum Studieren nach Jugoslawien.«
    »Aber wieso nach Jugoslawien?«, fragte ich verzweifelt. »Ich wollte doch in die Tschechoslowakei.«
    Nach einer gefühlten Ewigkeit kam meine Mutter und wedelte mit dem Brief, in dem stand, dass ich einen Studienplatz in der Tschechoslowakei bekommen sollte. Die Leute hatten nur nicht richtig hingeschaut. Wir fielen uns in die Arme und lachten und weinten. Es war ein großer Tag für mich. Ich war überglücklich und meinem Traum einen großen Schritt näher gekommen.
    Kaum zu Hause angekommen, rief Inas Mutter an, um mir mitzuteilen, dass ihre Tochter ebenfalls bestanden hatte und in die Tschechoslowakei gehen durfte. Ich würde also nicht allein in mein großes Abenteuer starten.
    Im Juli mussten wir nach Havanna ans Instituto Superior de Ciencias y Tecnología Nucleares . Das Institut lag in einem großen Areal namens Quinta de los Molinos , das auch den botanischen Garten beherbergte. Dort begegnete ich den anderen drei Studenten, die in der Tschechoslowakei Nuklearökologie studieren sollten, darunter Ina. Fast einen Monat lang wurden wir an der Fakultät für Nukleartechnologie auf unser Studium vorbereitet. Allerdings nicht nur durch Intensivunterricht in den fürs Nuklearstudium relevanten Fächern wie Mathematik, Physik und Chemie, sondern auch in Politik. Man vermittelte uns »kubanisches Wissen« über die Weltgeschichte und erklärte uns ausführlich, wie schlecht der Kapitalismus sei. Das war so etwas wie eine Gehirnwäsche. Außerdem überreichte man uns unsere »Studentenbibel«, wie ich das nannte. Dieses Buch, das mich die nächsten Jahre begleiten würde, enthielt alle Regeln, die jeder Kubaner, der mit einem Stipendium im Ausland studierte, zu befolgen hatte. Es gab exakte Vorschriften, was wir machen durften und was nicht und welche Strafen man bekam, wenn man eine Regel brach: Wir durften keine Freundschaft schließen mit Menschen aus kapitalistischen Ländern. Wir durften nicht arbeiten. Wir durften uns nicht von der Uni wegbewegen, ohne unseren kubanischen Betreuern Bescheid zu sagen.
    Während unseres Aufenthalts in Havanna wurden wir auch ärztlich untersucht und bekamen Coupons, mit denen wir uns in einem speziellen Shop für die Reise und das Leben in Europa ausstaffieren konnten: Die Jungs erhielten jeweils einen warmen Mantel, einen Anzug, ein Paar Schuhe, zwei Hemden und einen Koffer – mir gab man einen hässlichen braunen Polyesteranzug mit einer noch hässlicheren Krawatte. O Gott, ich gefiel mir überhaupt nicht darin! Als ich enttäuscht nach Hause kam und meiner Mutter die Sachen zeigte, sagte sie: » Mi niño , wir haben doch noch den Hochzeitsanzug deines Vaters.« Also startete ich in mein neues Leben mit einem wunderschönen, handgefertigten weißen Anzug aus den Fünfzigerjahren, schmal geschnitten, tailliert, aus einem tollen Material, das nicht knitterte. Ich liebte diesen Anzug, denn er passte nicht nur wie angegossen, sondern betonte auch noch hervorragend meinen Glam. Die Hose habe ich übrigens heute noch.

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