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Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)

Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)

Titel: Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge González
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Minute meines Traums, von der ängstlichen Sitznachbarin bis zu dem überwältigenden Gefühl, dass meine Nase von einem Moment auf den anderen frei war.
    Ich sehe meine Ankunft heute noch vor mir wie einen Film: Ich ging ganz langsam durch die Halle zu meinen Mitstudenten an den Kiosk, denn ich wollte nicht wirken, wie jemand, der »hungrig« ist: Dort angekommen, bestellte ich schwarzen Tee. »Bist du krank?«, fragten die anderen, denn in Kuba trinkt man meistens Tee, wenn es einem nicht gut geht. Die ganze Zeit über schaute ich unbeteiligt in die Runde. Doch in Wirklichkeit habe ich alles ganz genau beobachtet: Wie die Menschen sich bewegten, wie sie aussahen, was sie anhatten. Welche Haut- und Augenfarbe sie hatten. Ich hörte zu, wie sie redeten, obwohl ich damals kein Wort verstand, und nahm die Gerüche wahr. Es roch irgendwie gut und süß in meinem neuen Leben.
    Alles war anders. Ein paar Leute um uns herum wirkten genervt. Wahrscheinlich dachten sie, dass da die Wilden gekommen waren, die herumschrien nach dem Motto: Ich will dies, ich will das. So wollte ich nicht sein. Deshalb saß ich einfach nur da, beobachtete und bemühte mich, Haltung zu bewahren. So verging meine erste Stunde in Europa, die ich im Flughafen von Prag zusammen mit meinen drei Kommilitonen verbrachte, bis uns unsere Betreuer zum Anschlusszug nach Bratislava brachten.
    Als wir unser Abteil betraten, saßen da schon vier Punks, die uns ganz komisch anschauten. Was müssen die gedacht haben, als ich da vor ihnen stand mit dem weißen Anzug, einem weißen Hemd mit feinen dunklen Streifen, einer blauen Krawatte und spitzen schwarzen Schuhen, die ich noch kurz vor meiner Abreise reparieren lassen musste, weil ich auf dem Salsakonzert von Los Van Van ein Loch in die Sohle getanzt hatte. Aber weil die »sozialistischen« Schuhe aus dem Coupon-Shop einfach zu hässlich aussahen, wollte ich unbedingt diese anziehen.
    Nach dem Deal mit dem Aufpasser im Internat war ich zum zweiten Mal in meinem Leben froh, in der Schule Englisch gelernt und es zu Hause geübt zu haben. Damals hatte ich die Wohnzimmerstühle im Haus meiner Eltern hintereinander aufgereiht und meinen »Schülern« Englischunterricht erteilt. Ich habe mich vor sie hingestellt und gefragt: » Du yu anderständ mi ?« Wenn mein Vater das mitbekam, verdrehte er nur die Augen und sagte: »Du mit deinem »Tschtschangtischtschangtschangtschang.«
    Als die Punks bemerkten, dass wir Kubaner waren, riefen sie: »O cool, Guantanamera …«, und versuchten sofort, den Song auf der Gitarre, die sie dabeihatten, zu spielen. Die ganze Fahrt nach Bratislava haben wir zusammen gesungen und getanzt. Ich wusste nicht, was Punks waren, und kannte auch nicht ihre Lebensphilosophie. Aber ich war komplett hin und weg von ihren Klamotten. Sie trugen Lederjacken mit Nieten, AC/DC-T-Shirts, Ringe, Tattoos – und waren einfach total cool. Ich erinnere mich noch ganz besonders an ein Mädchen, das Springerstiefel aus rotem Lack anhatte. Wow, dachte ich damals, was für tolle Schuhe. Und ich daneben im weißen Hochzeitsanzug meines Vaters …
    Für mich waren diese Menschen, die uns so herzlich begegneten, das netteste Willkommensgeschenk, das ich mir vorstellen konnte. Und der anfängliche »Kulturschock« war eine Lehre für mich, Menschen nicht nach ihrer Kleidung zu beurteilen. Zwei ganz verschiedene Lebensformen und -philosophien, zwei ganz unterschiedliche Kulturen trafen sich auf engstem Raum im Zug nach Bratislava, und keiner hatte Vorurteile gegenüber den anderen. Wir lachten zusammen, machten Musik zusammen, tanzten zusammen und hatten einfach nur Spaß. In diesem Moment spürte ich ein totales Gefühl von Freiheit.
    Nach unserer Ankunft kamen wir erst einmal in »Quarantäne« in ein Internat in Bratislava, wo wir vierzig Tage lang einen Intensivkurs Slowakisch absolvieren mussten. Wir nannten diese Zeit auch deshalb »Quarantäne«, weil alle Studenten, die aus den unterschiedlichsten Ländern wie Namibia, Kongo, Äthiopien, Griechenland, Zypern, Kuba, Kolumbien, Venezuela, Chile, Uruguay, Libanon, Afghanistan, Marokko oder dem Jemen kamen, erst einmal eine gründliche Gesundheitsprüfung über sich ergehen lassen mussten und danach auf die verschiedenen Internate verteilt wurden, um die Sprache zu lernen.
    Ich kam nach dem ersten Monat für fast ein Jahr in eine Sprachschule nach Senec, einem süßen kleinen Ort etwa fünfundzwanzig Kilometer von Bratislava entfernt. Die ersten drei Monate

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