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Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)

Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)

Titel: Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge González
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studierten. Jeweils fünf Studenten teilten sich eine Art Apartment mit zwei Schlafzimmern: eines für zwei und eines für drei Personen. In dem Gemeinschaftsraum standen Schränke, einer pro Bewohner, sowie ein Kühlschrank für alle. Von dort aus kam man auch ins Bad. Das eine Zimmer teilten sich ein Kubaner und zwei Slowaken. Ich hatte Glück und blieb die meiste Zeit allein in dem Zweierzimmer, auch wenn ich es wegen der Sprachkenntnisse ein bisschen schade fand, nicht mit einem Slowaken zusammenzuwohnen.
    Nuklearökologie war als Studienfach noch sehr neu in den Achtzigerjahren. Insgesamt waren wir achtundzwanzig Studenten – bis auf uns vier Kubaner und zwei Vietnamesen alles Slowaken. Mein erstes Jahr an der Uni kam mir vor wie ein leichter Chicas Walk. Wir waren in Kuba so gut vorbereitet worden, dass ich mich fast ein bisschen langweilte. Im Prinzip lernte ich nicht viel Neues, weil ich alles, was wir in Physik, Mathematik, Biologie durchnahmen, schon in- und auswendig kannte.
    Deshalb beschloss ich, mich auf die Entdeckung meines zweiten Ich zu konzentrieren, was ich ohnehin viel aufregender fand. Aber wo? In der Tschechoslowakei war Homosexualität damals schon einigermaßen akzeptiert. In Bratislava gab es ein paar kleine Cafés, wo sich Schwule trafen, und in Prag sogar richtig große Diskotheken. Dort wollte ich unbedingt hin.
    Gleich zu Beginn des Studiums hatte ich mich mit einem Schwulen aus Bratislava angefreundet, mit dem ich nun zusammen nach Prag ging und in der ersten Gay-Disco meines Lebens landete. Auch wenn der Besuch einer Diskothek für Schwule nicht ausdrücklich in unserer Studentenbibel verboten wurde, war es natürlich trotzdem nicht erlaubt. Erstens weil Homosexualität in meiner Heimat gesellschaftlich verurteilt wurde, und zweitens durften wir uns nicht ohne Genehmigung vom Universitätsgelände entfernen. Aber genau genommen war das schon egal, denn ich hatte bereits eine andere Regel gebrochen: Freundschaft mit Kommilitonen aus kapitalistischen Ländern zu schließen.
    Ich frage mich heute noch, wie sich die kubanische Regierung das vorgestellt hatte: Du bist gerade mal achtzehn Jahre alt und lebst, weit weg von zu Hause, mit den unterschiedlichsten Menschen auf engstem Raum zusammen. Wohnst mit ihnen im selben Apartment, studierst mit ihnen, unternimmst sogar Ausflüge mit ihnen. Wie soll man sich da aus dem Weg gehen? Wie soll man denn da nicht freundschaftlich miteinander umgehen? Und wie verhindern, dass man den einen oder anderen lieb gewinnt? Das konnte doch gar nicht funktionieren, dachte ich. Das war unmenschlich, was die von uns verlangten. Aber ich war es ja schon seit meiner Kindheit gewöhnt, »Unmenschliches« zu tun, indem ich mein zweites Ich unterdrückte.
    Vielleicht war das der Grund, warum ich mich nach meiner Ankunft in der Tschechoslowakei ein bisschen wie ein Anarchist fühlte. Denn von dem Moment an war klar: Es gab keine Regeln mehr von außen. Deshalb fing ich an, mit den Vorschriften zu spielen. Ich wusste genau, dass es verboten war, ohne Abmeldung nach Prag zu gehen, und dass ich große Schwierigkeiten deswegen bekommen konnte. Aber ich ging trotzdem.
    Ich erinnere mich noch gut an diese erste Reise: In einer wunderschönen lauen Nacht befanden wir uns auf dem Weg in die Diskothek im Zentrum Prags. Ich hatte mich verkleidet wie ein Schnüffler aus einem schlechten Agentenfilm: den Mantelkragen hochgeklappt. Sonnenbrille, Hut. Mein schwuler Freund hatte mir zwar immer wieder versichert, dass es in Ordnung sei, homosexuell zu sein, und ich war ja schon in Bratislava in einem Gay-Café gewesen, aber trotzdem konnte ich mir nur schwer vorstellen, dass es eine solche Freiheit für Homosexuelle geben sollte. Dass ich einfach morgens aufstehen und mich so geben konnte, wie ich war. Ich hatte furchtbare Angst, dass es doch nicht okay sein könnte – dass man mich entdecken und nach Kuba zurückschicken würde.
    Man stelle sich das vor: Da drückte ich mich in einer Ecke der Diskothek herum – in Mantel, Sonnenbrille und Hut und mit einem Getränk in der Hand – und beobachtete die Leute. Alle um mich herum benahmen sich ganz normal, sie unterhielten sich, lachten, tanzten und feierten. Nur ich stand verloren da und hatte die totale Paranoia.
    Irgendwann kam eine Frau auf mich zu. Auf den ersten Blick schätzte ich sie auf Ende dreißig, aber bei näherem Hinsehen stellte ich fest, dass sie höchstens Mitte zwanzig war. Sie hatte eine tolle Figur und trug ein

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