Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)
zeigten mich in Bratislava und in Prag – in der Oper, im Restaurant, in der Diskothek, in einer Bar, auf der Straße, als Model bei einem Shooting und so weiter. Sie hatten fast jeden meiner Schritte in den letzten drei Jahren dokumentiert und fragten mich immer wieder: »Mit welchem Geld hast du das alles bezahlt?« Offenbar konnten sie bis zu dem Lambadaspot nicht eindeutig beweisen, dass ich gearbeitet und mit den Modeljobs Geld verdient hatte. Ich schwieg. Bevor sie gingen, bekam ich die Information, dass die Vertreter des Konsulats, der kommunistischen Partei und der kubanischen Studenten im März gemeinsam über mein Schicksal entscheiden würden.
Diese Versammlung fand am Donnerstag, den 8. März 1990 – am internationalen Frauentag – um achtzehn Uhr im Haus der Jugend statt, wo sich die kubanischen Studenten oft zu Besprechungen und Meetings trafen. Ich kam mir vor wie vor einem Militärgericht: Auf einem Podest in einem riesigen Raum standen vier Tische, hinter denen die Vertreter der jungen kommunistischen Union, des kubanischen Konsulats in Bratislava und der Botschaft aus Prag saßen. An der Wand hinter ihnen hingen ein großes Foto von Fidel Castro und die kubanische Flagge. Unten saßen etwa fünfzig Studenten der jungen kommunistischen Union. Und mich hatte man an der Seite platziert. An der Eingangstür standen demonstrativ einige Sicherheitsleute.
Bis einundzwanzig Uhr wurden langsam und detailliert alle Vergehen, die man mir vorwarf, verlesen und anschließend diskutierte man darüber. Danach statuierten sie ein Exempel in Sachen »ideologische Diversion« an mir, um zu demonstrieren, was mit einem Andersdenkenden beziehungsweise einem Konterrevolutionär passierte. Einer der Sicherheitsleute rief etwa hundert kubanische Studenten, die extra aus der ganzen Tschechoslowakei herbestellt worden waren, in den Saal. Sie mussten hinter mir im »Zuschauerraum« Platz nehmen. Ina war auch darunter. Als Erstes wurde ihr »Fall« verhandelt, der zum Glück leicht und schmerzlos erledigt war. Sie bekam eine Bewährungsstrafe.
Danach kam ich an die Reihe. Jeder der über hundert anwesenden Studenten musste aufstehen und mich kritisieren – egal ob er oder sie mich kannte oder nicht:
»Jorge González ist ein Konterrevolutionär, weil er gearbeitet hat, obwohl uns Studenten das verboten ist.«
»Jorge González hat unsere studentischen Regeln gebrochen, weil er sich unerlaubt vom Universitätsgelände entfernt hat.«
»Jorge González ist ein Abtrünniger, weil er Geld verdient hat, statt zur Universität zu gehen.«
»Jorge González hat unsere revolutionären Ideale verraten, weil er für den kapitalistischen Feind Werbung gemacht hat.«
Irgendwann stand eine Studentin auf, deren Anklage mir lange in Erinnerung blieb wegen der schlechten Gefühle, die sie in mir erzeugte. Sie war klein, hatte kurze Haare, eine dicke Brille, schlechte Haut und wirkte irgendwie verbittert. In der Uni war sie bekannt als cotilla , als Klatschtante, weil sie alle Leute beobachtete und herumtratschte, was sie gesehen hatte. Im Gegensatz zu den meisten anderen an diesem Abend war sie überzeugt von dem, was sie sagte, und wollte, dass politisch oder ideologisch Andersdenkende ihre verdiente Strafe bekamen. Der Hass in ihrer Stimme brachte mit jedem Wort nur eines zum Ausdruck: »Jorge, jetzt bist du endlich fällig!«
Sogar Ina musste mich kritisieren. Sie stand auf und sagte so ruhig wie möglich: »Ja, es war falsch zu arbeiten, denn wir wussten, dass das verboten ist. Jetzt müssen wir die Konsequenzen tragen.« Ich konnte sehen, wie furchtbar dieser Moment für sie und auch für viele der anderen Studenten war, die mich kannten oder mit denen ich befreundet war. Sie mussten irgendwelche kritischen Sachen sagen, die gar nicht stimmten, aber gegen mich sprachen. Sie mussten lügen, um ihre eigene Haut zu retten. Diese Prozedur dauerte bis weit nach Mitternacht. Ein Student nach dem anderen erhob sich, brachte vor, warum ich nicht mehr würdig sei, als Student in Bratislava zu bleiben. Ich stand ihnen dabei die ganze Zeit gegenüber und hörte still zu. Viele der Kommilitonen weinten fast, weil sie die Konsequenzen kannten und wussten, dass man mich nach Kuba zurückschicken würde. Denn das bedeutete auch, nicht weiterstudieren zu können.
Gegen halb zwei sagten die Vertreter vom Konsulat schließlich: »Gut, wir haben genug gehört. Jorge, du bist nicht mehr Student der Nuklearökologie. Du gehst zurück nach
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