Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)
zulassen, dass die kubanische Politik meinen Traum von Europa zerstörte. Es reichte, dass man mir schon die ersten siebzehn Jahre meines Lebens schwer gemacht hatte. Wenn ich in den Semesterferien in Kuba war, musste ich jedes Mal feststellen, dass sich dort noch nichts geändert hatte. Mein Leben lang hatte ich mich gefragt: Warum? Was habe ich getan? Ich tue niemandem weh. Warum darf ich nicht so sein, wie ich bin? Woher kommt dieser Hass?
Als ich mit Mišo zum Bahnhof lief, um zu seinen Eltern nach Žilina zu fahren, ließ ich noch einmal Revue passieren, was gerade geschehen war. Ich empfand Glück, Ärger, Enttäuschung und Trauer – alles auf einmal. Einerseits hatte ich Freunde, die für mich da waren. Andererseits war mir klar, dass ich wieder ganz von vorn anfangen musste. Da realisierte ich, dass ich recht gehabt hatte, als ich meiner Mutter am Flughafen gesagt hatte: »Schau mich an, ich weiß nicht, wann wir uns wiedersehen.« Dieser Satz, der damals die Abschiedssituation auflockern sollte, war tatsächlich Wahrheit geworden. Ich wusste nicht, wann oder ob ich meine Familie je wiedersehen würde.
An der Stelle möchte ich gerne zeitlich ein bisschen vorspulen, weil ich viele Jahre später noch einmal an diesen denkwürdigen Abend erinnert wurde. Ich fuhr gerade mit einem Mietwagen mit vier Freunden in Havanna die Quinta Avenida entlang. Da sah ich eine Frau am Straßenrand stehen, die Autostopp machte. In Kuba nichts Besonderes, weil die öffentlichen Verbindungen sehr schlecht sind. Als sie auf uns zukam, erkannte ich die cotilla , die Klatschtante, die bei meiner »Verurteilung« so voller Hass gewesen war und kein gutes Haar an mir gelassen hatte.
»Könnt ihr mich ein Stück mitnehmen«, fragte sie. Offenbar erkannte sie mich wegen meines Afrolooks und der großen Sonnenbrille, die ich trug, nicht.
Doch als ich » Hola « zu ihr sagte, zuckte sie zusammen und rief entsetzt: »Jorge!?!«
»Ja, der bin ich«, antwortete ich lächelnd. »Wie du siehst, kann ich dich leider nicht mitnehmen. Das Auto ist voll – noch dazu mit lauter Homosexuellen. Aber wenn ich Platz hätte, könntest du mitfahren, weil ich dir schon lange verziehen habe.« Mit diesen Worten fuhr ich davon.
Aber wieder zurück zum März 1990: Am Nachmittag vor meiner »Verurteilung« hatte ich meine Sachen im Internat schon in zwei Koffer gepackt und auf den Schrank gestellt, damit sie jederzeit griffbereit waren. In einem Koffer befanden sich alle meine Klamotten und im anderen meine Studienunterlagen, ein paar Bücher und eine kubanische Flagge. Nur ein Buch packte ich in den Koffer mit der Kleidung – und darin war das Geld von dem Werbespot für »Cappy« versteckt. Mein Startkapital für ein neues Leben.
Außerdem hatte ich zwei meiner besten Freundinnen, Maria und Christina, vor der Versammlung gebeten, den Koffer mit den Dollars aus dem Internat zu holen, falls ich verurteilt würde. Die beiden Chicas zogen los, während Mišo und ich am Bahnhof warteten. Ich weiß nicht, was ich mir damals dabei gedacht habe: Christina, eine feine, zierliche, musische Italienerin, die immer elegante Outfits trug. Und Maria, eine Medizinstudentin aus Zypern, ebenfalls klein, zierlich und feminin, die schon Angst vor einer winzigen Spinne hatte … Kurz, die beiden waren alles andere als Einbrecherinnen. Aber ausgerechnet die beiden mussten sich um vier Uhr morgens in ein Internat schleichen, wo alles still und dunkel war.
»Geht in das Apartment und holt den Koffer mit den Klamotten«, hatte ich sie instruiert. »Er steht im Gemeinschaftsraum oben auf dem Schrank. Ihr müsst den rechten der zwei Koffer nehmen, hört ihr. Und passt auf, dass euch der kommunistische Student, der im Nebenzimmer wohnt, nicht hört.« Denn es wäre sicher nicht gut gewesen, wenn man sie dabei erwischt hätte, wie sie den Koffer eines Verräters holten.
Die beiden irrten auf Zehenspitzen – in Turnschuhen! – und nur mit einer Taschenlampe bewaffnet in den Gängen herum, bis sie endlich das Apartment fanden, in dem sich mein Zimmer mit der Nummer 513 befand. Da die Batterie der Taschenlampe fast leer war und nur spärlich Licht gab, konnten sie kaum etwas sehen. Sie kannten den Weg zwar, aber im Dunklen sieht eben alles anders aus.
Ich hatte ihnen den Schlüssel gegeben und konnte nur hoffen, dass die anderen Studenten nicht aufwachten. Als die Chicas endlich vor der Apartmenttür standen, flüsterte Christina: »Maria, los, sperr auf.«
Maria fummelte
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