Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)
aktiv in der Bewegung des politisch engagierten Schriftstellers Václav Havel und seinen Leuten und unterstützten die Bewegung von Bratislava aus. Bei den Proben in der Theaterhochschule hatte ich ständig das Gefühl, dass irgendetwas vor sich ging und etwas Großes passieren würde. Die Studenten, die sonst so zurückhaltend waren, sprachen auf einmal viel offener über die aktuellen politischen Ereignisse und kommentierten alles viel persönlicher. Kam das Thema zum Beispiel aufs Reisen, machten sie ihrem Ärger lautstark Luft, nicht die gleiche Bewegungsfreiheit wie die Menschen im Westen zu haben. Irgendwie hatte man den Eindruck, als würde es unter der Oberfläche gären. Ich war sicher, dass etwas passieren würde, wusste aber nicht was. Dass die »Samtene Revolution« zu einem Systemwechsel in der Tschechoslowakei führen und den Eisernen Vorhang niederreißen würde, das ahnte ich damals nicht.
Im November explodierte die Bombe. Ich war dabei, als sich Tausende von Menschen am 17. November 1989 zu einer friedlichen Demonstration in Prag zusammenfanden. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, diesen historischen Moment inmitten so vieler junger Menschen mitzuerleben. Nach wochenlangen Protesten fand das kommunistische Regime schließlich ein Ende.
Am Tag nach dieser wegweisenden Demonstration, ich war schon wieder in Bratislava, beriefen unsere Betreuer kurzfristig eine Versammlung ein, in der sie uns lapidar mitteilten: »Ab heute ist das tschechoslowakische Volk unser Feind.« Das bedeutete im Klartext: Von diesem Tag an sollte ich meine Mitstudenten, meine Professoren, Mišo und meine anderen Freunde, die Kassiererin in der Kantine, einfach alle, als meine Feinde betrachten.
Wenige Tage später rief mich ein Freund an, der Sohn eines einflussreichen Politikers in Kuba. »Jorge, ich habe gehört, dass alle kubanischen Studenten nächstes Jahr im Juni zurückmüssen.« Ich war entsetzt und wütend, denn eigentlich sollten wir im September 1990 unsere Diplomarbeit präsentieren. Und nun sollte ich zwei Monate vor diesem Zeitpunkt nach Kuba zurück – ohne Abschluss? Das kam für mich nicht infrage. Was ich angefangen habe, bringe ich auch zu Ende, beschloss ich.
Kurze Zeit später, Anfang Dezember, fragte mich eine Freundin, eine DJane, die viele Modelshows mit mir gemacht hatte: »Jorge, in zwei Wochen organisiere ich mit einer amerikanischen Agentur für die Coca-Cola-Company einen Werbespot für Cappy – ein Fruchtsaftgetränk, so ähnlich wie Orangensaft, das in der Tschechoslowakei eingeführt werden soll. Hast du Lust, mitzumachen?«
Für diesen Werbespot, übrigens der erste überhaupt in der neuen Republik, wurde ein Paar gesucht, das Lambada tanzen konnte. Dieser Job ist wie geschaffen für mich, dachte ich. Aber für die kubanischen Studenten galt nach wie vor das Verbot, während des Studiums zu arbeiten, und schon gar nicht für ein kapitalistisches Unternehmen wie die Coca-Cola-Company. Ich beschloss, trotzdem zum Casting zu gehen, denn die Amerikaner zahlten gut. Außerdem würde ich das Geld vielleicht noch dringend brauchen, falls mein Freund recht behielt und alle Kubaner die Tschechoslowakei verlassen mussten.
Für den Lambada brauchte ich natürlich eine Partnerin. Also überzeugte ich Ina, mitzumachen. Ich schminkte sie, machte ihr mit improvisierten Papilloten aus Papier eine wilde Lockenmähne und stylte sie mit dem Minirock und der sexy Bluse einer Freundin. So marschierten wir zum Casting. Während ich die anderen Paare beim Vortanzen beobachtete, dachte ich nur: Dieser Job gehört uns. Denn ich war der einzige Mulatte, und der Rhythmus lag mir praktisch im Blut. Ina und ich tanzten Lambada, als hätten wir nie etwas anderes im Leben gemacht. Die Amerikaner waren begeistert und wollten uns unbedingt für den Spot haben.
»Okay, let’s talk about the money«, sagte einer der Bosse.
»Ich verstehe nicht Englisch«, stellte ich mich zu Beginn der Verhandlung dumm. Also übersetzte meine Freundin, die DJane, und ich hörte nur still zu, was die Leute von der »roten Dose« anboten. Meine Freundin übersetzte, dass der Dreh des Videos in zwei Tagen stattfinden würde und jeder von uns fünfhundert Dollar bekäme. Ein paar Tage zuvor hatte sie mir allerdings erzählt, dass der Agentur ein Vielfaches als Budget für die Tänzer zur Verfügung stand. Fünfhundert Dollar waren eine Menge Geld, aber ich wollte mich nicht abspeisen lassen.
Deshalb wandte ich mich zu meiner Freundin:
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