Hollisch verliebt
krümmte sich, als hätte er Schmerzen, und rieb sich direkt über dem Herzen die Brust. Lange starrten sich die beiden Jungen nur an. Die Schmerzen wurden schlimmer und brachen sich in einem Stöhnen Bahn. Schließlich schrie Ryder ein gequältes Geständnis heraus: „Du willst die Wahrheit hören? Na gut. Ich habe das Feuer gelegt. Okay? Alles klar? Da war eine Stimme in meinem Kopf, und sie hat mir gesagt, was ich tun soll. Ich wollte mich wehren, aber ich habe es nicht geschafft. Und weißt du, was noch? Sie hat mir gesagt, ich soll euch umbringen, euch alle. Ich habe neben deinem Bett gestanden und war kurz davor, beinahe hätte ich es getan. Aber dann habe ich so gezittert … Ich konnte das nicht. Ich konnte es einfach nicht, deshalb habe ich dich aus dem Haus geschleppt.“
Als sie das hörte, war auch Victoria entsetzt.
„Du … du …“ Shannon schlug die Hände vors Gesicht.
„Die Stimme hat mir befohlen, dass ich Aden begleiten soll, egal, wohin er geht. Sie hat gesagt …“ Wie bei einem Krampfanfall begann Ryder am ganzen Körper zu zittern. Er verdrehte die Augen, bis nurnoch das Weiße zu sehen war.
„R…Ryder!“ Shannon legte seinen Freund rasch auf die Seite und steckte ihm eine Hand in den Mund, damit er nicht an seiner Zunge erstickte. So plötzlich, wie es gekommen war, verging das Zittern wieder.
Die Beifahrertür öffnete sich, und ein kalter Lufthauch fuhr in das bisschen Wärme, das sich im Auto gehalten hatte. Es war niemand zu sehen, trotzdem war die Tür aufgegangen – jetzt schloss sie sich wieder von allein. Victorias Entsetzen schlug in Panik um, als sich der Grund zeigte.
Tucker.
Von einer Sekunde auf die andere saß er auf dem Beifahrersitz. Seine Kleidung war zerrissen und blutverschmiert, das blonde, ebenfalls blutige Haar klebte an seinem Kopf. In seinen Augen lag eine nagende Traurigkeit, die ihn völlig zu zerfressen drohte.
„Hallo, Victoria“, sagte er. „Du hast meine SMS also bekommen.“
Sie würde sich nicht einschüchtern lassen. Auch wenn sie nun ein Mensch war, blieb ihr immer noch Rileys Selbstverteidigungstraining. Sie war vielleicht schwach, aber nicht völlig hilflos. „Ja, habe ich.“ Und weil sie sich von Aden eine Scheibe abgeschnitten hatte, trug sie versteckt unter den Ärmeln ihres Gewands zwei Dolche.
Hinten setzte sich Ryder mit einer geschmeidigen Bewegung auf und schob Shannon zur Seite. „Berühre mich nicht mit deinen dreckigen Händen, Mensch“, blaffte er ihn an. Bei aller Heftigkeit klang seine Stimme förmlich und kultiviert und ließ einen rumänischen Akzent erahnen.
Ein Schauder überlief Victoria. Diese Stimme kannte sie. Sie hasste und liebte sie zugleich. Aber … aber … das ist doch unmöglich, dachte sie.
„G…geht’s dir g…gut?“ Obwohl Ryder gerade gestanden hatte, er habe Shannons Zuhause abgefackelt, sorgte sich Shannon um ihn.
„Ja. Das heißt, bald.“ Ryder griff zu seinem Stiefel, zückte selbst einen Dolch und rammte ihn Shannon ins Herz.
Die Bewegung geschah so schnell, dass Victoria erst begriff, was geschehen war, als Shannon aufschrie. Als Blut floss und Ryder die Klinge noch tiefer bohrte.
Shannon gurgelte, er konnte nicht mehr sprechen. Dafür sagten seine Augen alles. Was? Warum? Wie konntest du das tun?
„Nein!“ Victoria warf sich nach hinten, zwischen Shannon und Ryder. Sie stieß Ryder weg. Ohne auf ihre eigene Sicherheit zu achten,schirmte sie Shannons Körper ab, zog den Dolch heraus und presste die Hände auf die Wunde. Warmes Blut strömte über ihre zitternden Hände.
Ryder lachte leise. Sie traute ihm zu, dass er sich sogar die Hände rieb angesichts seines Erfolges. „Riecht gut, oder, Tucker, mein Junge?“
„Ja“, antwortete Tucker automatisch.
Es gab nichts, was sie tun konnte. Sie konnte Shannon nicht helfen und ihn nicht retten. Tränen brannten in ihren Augen und rannen ihr über die Wangen. „Shannon, es tut mir leid. Es tut mir so leid. Ich hätte …“ Etwas tun müssen, irgendwas.
Shannon keuchte und rang verzweifelt nach Luft. Aus seinen Mundwinkeln sickerte Blut. Er litt entsetzliche Schmerzen, was für sie noch schlimmer war als die Vorstellung, dass er sterben würde.
„So macht man das“, erklärte Ryder, an Tucker gewandt. „Hättest du es mit Aden genauso gemacht, hätte meine Tochter ihn nicht erst retten können.“
Seine Tochter.
Also war es nicht unmöglich. Vlad hatte von Ryder Besitz ergriffen.
Er war für diese Tat verantwortlich.
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