Hollisch verliebt
Vlad hatte Shannon das angetan. Und Aden. Ihnen allen. Der Mann, um den sie einmal getrauert hatte, hatte das hier verbrochen.
Victoria konnte Shannon nicht an einen anderen Ort teleportieren. Sie konnte ihn auch nicht aus dem Auto tragen. Wenn sie auf Aden wartete, würde Shannon nur unnötig leiden.
Aden. Einen Augenblick lang fühlte sie sich in die Nacht zurückversetzt, in der er fast gestorben wäre. Auch er hatte gelitten. Und sich nur noch gewünscht, dass es vorbei sein sollte. Alles, auch sein Leben. Er wollte nur noch Frieden. Einmal hatte er sie sogar angefleht, sie solle ihn gehen lassen.
Aber das hatte sie nicht. Jetzt konnte sie es.
„Es tut mir so leid.“ Obwohl sie sich mehr als je zuvor hasste, zerfetzte sie Shannons Halsschlagader mit ihren Fangzähnen. Ihre Zähne waren nicht mehr so lang und scharf wie früher, aber das konnte sie jetzt nicht ändern. Das Gurgeln wurde lauter, bevor es schließlich verebbte, aber er wehrte sich nicht. Als sie das Blut trank, so schnell sie konnte, schmeckte sie Kupfer und deutliche Verzweiflung. Darüber konnte sie nicht nachdenken, nicht jetzt und nicht hier. Sie trank weiter, bis kein Blut mehr kam und Shannons Kopf zur Seite fiel.
Bis er tot war und keinen Schmerz mehr spürte.
Vage nahm sie das Tappen und Kratzen von Wolfspfoten wahr. Nathan und Maxwell.
Keuchend und weinend fuhr sie hoch und sah sich um. Alles draußen nahm sich verschwommen aus. Sie schniefte, ihr Atem ging schwer. Selbst um Shannon zu erlösen – wie hatte sie ihm das antun können? Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.
Maxwell trug immer noch seine Sonnenbrille, Nathan war weiter als Blindenhund verkleidet. Sie liefen vor Autos, als wären sie beide blind.
„Unser Auto finden sie nie“, sagte Tucker. „Dafür habe ich gesorgt.“ „Deine Fähigkeit, Illusionen zu erzeugen, ist der einzige Grund, warum du noch lebst, Junge“, bemerkte Ryder. „Das ist dir hoffentlich klar.“
Darüber mussten sie jetzt reden? Als wäre nichts passiert? Herzlose Ungeheuer.
Victoria wandte sich zu ihrem Vater um, der nicht ihr Vater war, nicht mehr, und zu dem Jungen, der ihr Leben für immer verändert hatte. „Wie konntest du das nur tun?“
„Wie schön, dich wiederzusehen, meine Liebe.“ Ryders Lächeln war wie Wintereis und schwarze Kreuze. „Auch wenn ich deinen Verrat an mir nicht vergeben kann und niemals vergeben werde.“
Die Absicht, sie zu töten, sprang ihm regelrecht aus den Augen. „Du machst mir keine Angst, Vater. Nicht mehr.“
Er tippte sich mit einem Finger gegen das Kinn. „Wie kann ich das bloß ändern?“, überlegte er mit einem teuflischen Grinsen. „Da fällt mir sicher etwas ein.“
Zu diesem Mann habe ich einmal aufgesehen? „Shannon hat nicht verdient, so zu sterben.“
Endlich eine Reaktion. Seine Erheiterung war wie weggewischt, er kniff die Augen zusammen und bleckte die Zähne, der Gesichtsausdruck eines Raubtiers, das Beute ausgemacht hatte. „Er hat Aden geholfen. Natürlich hat er verdient zu st…“
Victoria stürzte sich auf ihn. Vlad mochte von Ryder Besitz ergriffen haben, aber Ryder hatte immer noch einen menschlichen Körper. Was hieß: Ryder war verletzlich.
Er konnte nicht entkommen, als sie ihm in den Hals biss.
Am Ende konnte sie auch als Mensch etwas ausrichten.
23. KAPITEL
Aden hatte sich Akten unter T-Shirt und Hose gesteckt und weitere unter den Arm geklemmt, ebenso Seth. Den kleinen staubigen Raum, zu dem Julian sie geführt hatte, hatten sie wie versprochen leer vorgefunden. Aden schätzte, dass ihn lange niemand mehr betreten hatte. Das Schloss war verrostet gewesen, die Scharniere hatten gequietscht und waren praktisch herausgefallen, als er gegen die Tür gedrückt hatte.
Sie waren von Karton zu Karton gelaufen und hatten die Unterlagen durchgesehen. Buchstäblich alles bezog sich auf unerklärliche Ereignisse, auf rätselhafte Todesfälle, Verletzungen, Heilungen. Seth und er hatten mitgenommen, was sie tragen konnten. Den Rest wollten sie später holen. Heute waren Mary Ann und Riley wichtiger.
Auf dem Rückweg zum SUV konnte er ein ungutes Gefühl nicht abschütteln.
„Elijah“, flüsterte er.
Seth sah ihn komisch an, sagte aber nichts.
Die Entschuldigung konnte nicht warten, bis sie allein waren. „Es tut mir leid.“ Normalerweise war die Seele nicht nachtragend, aber vielleicht konnte Elijah gar nicht reden. Vielleicht stimmte etwas nicht. „Ich war total fertig mit den Nerven.“
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