Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Holst, Evelyn

Holst, Evelyn

Titel: Holst, Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Liebesunfall
Vom Netzwerk:
Flure hier entlang, bevor Sie sich auf die Straße trauen“, Dr. Melderis knöpfte sich seinen Kittel zu. „In einem Monat kommen Sie noch einmal zur Nachuntersuchung und dann möchte ich Sie nicht mehr wiedersehen.“ Er drückte ihre Hand und war verschwunden.
    Leonie folgte ihm und dann ging sie den Weg, den sie jeden Tag gegangen war, zur Neurologie, zu seinem Zimmer. Inzwischen trat sie ein, ohne anzuklopfen, denn sie wusste, dass sie bereits erwartet wurde.
    Er lag im Bett, gestützt von Kopfkissen und las. Als er sie sah, lächelte er.
    „Ich lese Liebesgedichte von Erich Fried“, sagte er und legte das Buch auf den Nachttisch. „So tief bin ich gesunken.“ „Sehen Sie was?“, fragte sie und baute sich vor ihm auf. Er stemmte sich ein Stückchen höher und musterte sie. „Mir fällt nichts auf“, meinte er schließlich. „Neue Haare?“ Sie prustete los. „Total daneben! Ich war seit drei Monaten nicht mehr beim Friseur. Nochmal!“ Er sah sie genauer an und musste unwillkürlich lächeln. Was war los mit ihr, ihre Augen sprühten Funken, ihre Wangen waren gerötet, sie leuchtete geradezu. Wie wunderschön sie ist, dachte er zärtlich, und wie völlig aussichtslos für mich. „Ich gebe auf“, sagte er und ließ sich wieder ins Bett zurücksinken. „Was ist anders?“ „Mein Gips ist weg“, rief sie. „Ich kann wieder richtig lau...“ Oh, Gott, was habe ich gesagt, durchfuhr es sie plötzlich siedend heiß, wie konnte ich nur so taktlos sein? Ich stehe hier vor ihm und freue mich darüber, dass ich wieder gehen kann, während er nicht weiß, ob er sein Leben im Rollstuhl verbringen muss oder nicht? Sie schloss die Augen, das hatte sie als Kind oft getan, wenn sie hoffte, dadurch unsichtbar zu sein. Keiner sieht mich, keiner ist böse auf mich.
    Doch auch mit geschlossenen Augen fühlte sie Hendriks Blick und errötete. „Entschuldigung“, sie wagte nicht, ihn anzusehen. „Das war jetzt richtig blöd von mir.“
    Er wusste natürlich, was sie meinte und sie tat ihm leid. Wie ein kleines Mädchen stand sie vor ihm, die Augen schuldbewusst gesenkt, so als hätte er sie mit den Fingern im Marmeladentopf erwischt. Es drängte ihn, ihr blasses Gesicht in seine Hände zu nehmen und ihre Sorgen wegzuküssen. Aber er traute sich nicht. „Sie müssen sich nicht bei mir entschuldigen“, lächelte er. „Sie haben doch nichts mit meinem Unfall zu tun. Im Gegenteil, Ihre Besuche in den letzten Wochen ...“ Er hielt inne, wusste nicht weiter.
    „Ich freue mich, dass ich Sie ein bisschen trösten konnte“, Leonie setzte sich. „Ich bin auch wirklich gern gekommen.“ Sie hob den Blick und in ihren großen, traurigen Augen las er bereits die Worte, mit denen sie sich von ihm verabschieden wollte. Er wusste ja, dass es nicht ewig so weitergehen konnte, er war verheiratet und auch sie schien nicht ungebunden, obwohl sie nie darüber gesprochen hatten. „Soll das heißen, dass Sie nicht wiederkommen?“, fragte er und spürte richtig, wie ihm dieser Gedanke die Luft abschnürte. Die Vorstellung, sie nicht mehr zu sehen, war unerträglich. „Ich habe eigentlich keinen Grund mehr“, sagte sie. „Nein?“, fragte er. „Wirklich nicht?“
    Ihre Blicke trafen sich und versanken ineinander. Sie sagten nichts, sie sahen sich nur an. Ich würde alles für dich tun, alles. Ich auch, mein Schatz, ich auch. „Leonie ...“, sagte er. „Ich ...“ Sie holte tief Luft, jetzt, dachte sie, jetzt! Jetzt sage ich ihm einfach, dass ich mich ganz wahnsinnig in ihn verliebt habe.
    „Störe ich?“, Marion war eingetreten und musterte die ihr fremde, junge Frau auf dem Besucherstuhl nur flüchtig. Sie kam ihr vage bekannt vor, aber sie vertiefte diesen Gedanken nicht. „Ich will dann mal ...“ Leonie war vom Stuhl gerutscht und an der Tür, bevor Hendriks Ehefrau sie näher betrachten konnte. „Danke für alles“, rief er ihr hinterher und vermisste sie bereits.
    „Wer war das?“, fragte Marion und zog ihren Mantel aus. „Eine Mitpatientin“, wich er aus. „Sie hat mich ein bisschen abgelenkt.“
    „Ach so“, murmelte sie desinteressiert und plötzlich wurde ihr so übel, dass sie zum Waschbecken stürzte und ihren Kopf unter den laufenden Wasserhahn hielt. „Was hast du?“, fragte er erschrocken. „Soll ich einen Arzt rufen?“ Sie hatte sich wieder gefangen und schüttelte den Kopf. „Schon wieder besser“, sie keuchte noch ein bisschen. „Ich hab wohl etwas Falsches gegessen.“ Doch er hörte,

Weitere Kostenlose Bücher