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Holst, Evelyn

Holst, Evelyn

Titel: Holst, Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Liebesunfall
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sie hinein. Ihr Bein pochte noch immer wie Hölle, der Arzt hatte ihr Ruhe und Schonung verordnet, sie ignorierte es. Er war allein im Zimmer, das zweite Krankenbett war unbenutzt. Sie trat ein. Er lag auf dem Rücken, die Augen blicklos an die Decke gerichtet.
    „Hallo“, sagte Leonie leise. „Darf ich hereinkommen?“ „Nein“, seine Stimme klang fest, aber nicht unfreundlich. „Ich möchte jetzt keinen Menschen sehen.“ Sie trat trotzdem näher. „Ich bin vorhin zufällig an Ihrem Zimmer vorbeigekommen“, jetzt stand sie an der Fußseite seines Bettes und betrachtete ihn, „und da habe ich gehört ...“
    Er schwieg, seine Augen waren geschlossen, er hatte die Welt ausgesperrt.
    „Ich will im Moment nicht reden“, murmelte er. „Bitte verschwinden Sie.“
    Aber das konnte sie nicht. Jetzt, wo sie endlich in seiner Nähe war, konnte sie ihn nicht verlassen. „Ich möchte einfach nur Ihre Hand halten“, ihre Stimme klang bittend. „Nur einen Augenblick. Dann geh ich auch wieder.“
    Er öffnete die Augen und sah sie an und sie ertrank in einem Meer von Traurigkeit. „Ich kenne Sie doch gar nicht“, sagte er. Sie lächelte ihn an. „Das macht doch nichts“, sagte sie und setzte sich ungefragt auf den Besucherstuhl neben seinem Bett. „Ich heiße übrigens ...“, unmerklich zögerte sie eine Sekunde. „Ich heiße Leonie Baumgarten.“
    „Sind Sie eine professionelle Handhalterin, Leonie Baumgarten“, fragte er.
    „Ja, das bin ich“, lachte sie und freute sich über den kaum wahrnehmbaren Hauch von Humor in seiner Stimme. „Ich massiere übrigens auch ganz wunderbar. Hand- und Fußmassa...“, ihr Blick fiel auf seine Füße, deren Umrisse sich unter der Decke abzeichneten und sie verstummte erschrocken. Wie taktlos von mir, dachte sie verzweifelt, er kann ja gar nichts fühlen in den Füßen, und dann nahm sie einfach seine linke Hand, die eiskalt war, in ihre beiden Hände und wärmte sie. „Sie haben mir Ihren Namen noch nicht verraten“, sagte sie und fühlte sich wie eine Heiratsschwindlerin, während sie ihm eine zarte Handmassage gab, jeden Finger sanft drückte und die Handfläche behutsam durchknetete. „Hendrik von Lehsten“, antwortete er. „Sie machen das sehr gut. Sind Sie eine Professionelle?“ „Sie meinen Prostituierte?“, fragte sie zurück und freute sich, als sie sah, wie seine Mundwinkel ganz leicht nach oben zuckten. „Natürlich nicht“, sagte er. „Ich meine, massieren Sie beruflich?“
    „Nein“, erwiderte sie und war froh, in diesem Punkt bei der Wahrheit bleiben zu können. „Ich bin Kindergärtnerin.“ „Und wie komme ich dann zu diesem Vergnügen?“, fragte er weiter und sah sie unverwandt an. Sie erwiderte seinen Blick: „Ich mag Sie“, sagte sie einfach, „und ich möchte Ihnen etwas Gutes tun.“ „Sie sind erstaunlich“, erwiderte er. „Wenn ich an Engel glauben würde“, er hielt inne. „Aber das tue ich schon lange nicht mehr.“
    Draußen war es dunkel geworden, die frühe Winternacht hatte die Sonne bereits seit Stunden schlafen geschickt. Nur eine kleine Nachtischlampe brannte. Sie waren allein auf der Welt.
    Es gelang Leonie ein paar Augenblicke lang alles zu vergessen. Die Tatsache zu verdrängen, dass der Mann neben ihr keine Ahnung hatte, wer seine Hand so zärtlich massierte. Was würde geschehen, wenn er es erführe, wie würde er reagieren? „Sind Sie immer so nett?“, fragte er. „Nein“, erwiderte sie ehrlich. „Ich kann auch ganz schön zickig sein. Und ich sage nicht immer die Wahrheit.“
    „Das glaube ich nicht“, meinte er sanft und staunte ein bisschen, dass er in den schlimmsten Momenten seines Lebens imstande war, mit einer ihm völlig unbekannten, jungen Frau zu flirten. War es denn ein Flirt?
    Auf jeden Fall hatte sie es geschafft, ihn abzulenken und allein dafür war er ihr dankbar.
    „Oh, Sie haben Besuch, Herr von Lehsten“, Lernschwester Jenna war unbemerkt eingetreten und warf einen prüfenden Blick auf den Katheter, klopfte einmal kurz drauf und zog sein Laken glatt. Es war ihr erster Arbeitstag nach zwei Wochen Cluburlaub Lanzerote, sie hatte keine Ahnung, wer die junge Frau mit dem Gipsbein war, Leonies Herz klopfte deshalb ganz umsonst wie ein Presslufthammer. „Ja, meine ganz persönliche Handmasseuse“, Hendrik sagte es so trocken, dass Leonie ein kleines Kichern unterdrücken musste. Doch Jenna verstand Spaß. „Wie schön für Sie“, rief sie nur, lächelte und verschwand wieder. Das

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