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Holst, Evelyn

Holst, Evelyn

Titel: Holst, Evelyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Liebesunfall
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erinnerten, nicht an ihr Lächeln, das ihn einhüllte wie eine warme Daunendecke und ihn tröstete, da wo jeder andere Trost versagte. Im Krankenhaus hatte er sie zuletzt gesehen, ein kurzer Abschied, eigentlich keiner, denn Marion war hereingekommen und Leonie hatte sich mit einem kurzen „Ich geh dann mal ...“ aus dem Zimmer geschlichen. Er hatte ihr nachgesehen, ihrer schmalen, mädchenhaften Gestalt, und er hatte ein Ziehen gespürt, eine fast schmerzhafte Sehnsucht, die fast wie ein körperlicher Schmerz war. Sie hatte sich nicht mehr gemeldet bei ihm, auch keine Telefonnummer hinterlassen, und obwohl sein Verstand ihm sagte, dass es so vermutlich das Beste war, sein Herz sagte etwas anderes. Ich will dich wiedersehen, sagte sein Herz, ich will, dass du an meinem Bett sitzt und meine Hand hältst. Ich will, dass du bei mir bleibst. Ich will, dass du mich liebst.
    Er saß in seinem Bett, was er seit kurzem wieder konnte, die Physiotherapeutin, eine sehr energische, kleine Person namens Cora Böhm, hatte ihn so lange mit Streck- und Dehnübungen gequält, bis er sich endlich, auf seine Ellenbogen gestützt, wieder in die Sitzposition drücken konnte. „Bravo, junger Mann“, hatte sie ihn angestrahlt. „Und das machen wir jetzt jeden Tag mindestens zwanzig Mal. Übung macht den Meister.“
    Das Telefon auf seinem Nachttisch klingelte, erstaunt registrierte er, dass sich sein Herzschlag beschleunigte, als er zum Hörer griff. „Hallo?“, sagte er und hielt unwillkürlich die Luft an. „Ach, du bist es, Marion“, er wusste, dass er enttäuscht klang, und versuchte, etwas Freundlichkeit in seine Stimme zu zwingen. „Schön, dass du anrufst. Wann kommst du? Heute noch? Das ist schön, ich freue mich.“
    Er legte auf. Ihre Stimme hatte angespannt geklungen, gestresst, aber das war nichts Neues. Anspannung und Stress – das war der Grundton ihrer Ehe, seit langem schon. Seit ..., aber er wollte den Gedanken nicht vertiefen. Er wollte jetzt nicht an Isabell denken und an die abgrundtiefe Verzweiflung von damals. Er wollte ... und dann wusste er genau, was er wollte. Er griff zum Telefon. „Ja, hallo, hier ist Hendrik von Lehsten, ich hätte gern die Telefonnummer einer Patientin, die vor ... ich weiß, dass Sie eigentlich ... aber sie hat mich damals in meinem Zimmer besucht und dort etwas vergessen ... 460 1871. Danke.“ Er sprach die Zahlen leise vor sich hin, wie einen Schatz, den er mit niemandem teilen wollte. Vier sechs null eins acht sieben eins. Wenn er jetzt diese Nummern wählen würde, dann würde er ihre Stimme wieder hören. Und wenn er sie um einen Besuch bitten würde, dann ... Will ich oder will ich nicht, dachte er. Ja oder nein? Ganz oder gar nicht? Es ist das Verkehrteste, was ich machen kann. Ich bin verheiratet. Sie hat vermutlich auch einen Freund. Ich bin vermutlich für den Rest meines Lebens ein Krüppel. Sie ist jung und schön und hat das Leben noch vor sich. Ich rufe sie nicht an. Es wäre Wahnsinn. Purer Wahnsinn.
    „Luna, wenn du jetzt nicht sofort dein Zimmer aufräumst, dann passiert etwas ganz Schreckliches“, Leonie bemühte sich um ein strenges Gesicht, als sie sich im Kinderzimmer aufbaute, in dem es aussah wie auf einer Verkehrskreuzung, auf der es zu einer Massenkarambolage gekommen war. Luna saß auf dem Boden und baute sich ein Krankenhaus und zu diesem Zweck hatte sie ihre gesamten Spielsachen übereinander geschüttet. Playmobilteile, Puppenstubenmöbel, SpongeBobs in jeder Form und Konsistenz, Bälle, Springseile, Mickeymaushefte bildeten einen undurchdringlichen Dschungel, in dem das kleine Mädchen hockte und in seiner Welt völlig versunken war. „LUNA“, das war eine drei Oktaven höhere Mütterstimme. „ICH MÖCHTE, DASS DU JETZT AUFRÄUMST, SONST ...“ „Ich weiß Mami, dann passiert etwas ganz Schreckliches“, Leonie zerriss gerade ein Tempotaschentuch in kleine Fetzen und legte sie seelenruhig über die Playmobilbetten, „Guck mal, jetzt sind alle Betten fertig und die Patienten können kommen.“ Sie war so stolz, dass Leonie unwillkürlich lächeln musste und aller Ärger über das chaotische Kinderzimmer wieder verflog. Da ihr Bein immer noch sehr weh tat, konnte sie sich nicht auf den Boden setzen, also blieb sie stehen und betrachtete das kleine Kinderkrankenhaus von oben. „Wo willst du denn operieren?“, fragte sie und sah, wie ihre kleine Tochter die Stirn runzelte. Doch dann grinste sie, dieses breite, zahnlückige (der rechte Vorderzahn

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