Holst, Evelyn
Telefon auf seinem Nachtisch klingelte, aber er machte keine Anstalten nach dem Hörer zu greifen. Er fühlte sich schwach und wenn es Marion war, was er vermutete, dann wollte er sie jetzt nicht sprechen. Er wusste, wie sehr auch sie unter ihrer Situation litt, aber er ertrug den Kummer und das Mitleid in ihren Augen nicht. Er brauchte jetzt Menschen, die ihm Mut machten und das tat sie nicht, im Gegenteil.
Ihr Abschied war deshalb kühl gewesen, er hatte ihr angesehen, wie erleichtert sie war, als er sie fortschickte. „Ich will jetzt nicht“, sagte er deshalb, als er Leonies fragenden Blick spürte. „Es gibt nichts, was ich im Augenblick sagen kann oder will.“ „Das kann ich gut verstehen“, sagte Leonie. „Ich hab auch oft keine Lust zu reden.“
Während sein Telefon weiterklingelte, vibrierte in ihrer Jackentasche ihr Handy. „Ich muss leider“, sagte sie entschuldigend und griff danach. Es war Marius, der wissen wollte, wann sie nach Hause kam. „Ich hab sogar gekocht“, sagte er. „Die Kinder wollten ...“ „Lass mich raten“, sagte sie lächelnd und war sich sehr bewusst, dass Hendrik sie beobachtete. „Nudeln mit Tomatensauce?“ „Sehr gut, Frau Baumgarten, können wir in spätestens einer Stunde mit Ihnen rechnen?“ „Okay“, sagte sie und legte auf. „Das war ...“, fing sie an und überlegte kurz, wie und was sie dem Mann sagen wollte, dessen Hand sie wie selbstverständlich wieder in ihre Hände genommen hatte, doch Hendrik fiel ihr ins Wort. „Ich will Sie nicht länger aufhalten“, sagte er. „Sie werden sicher bereits erwartet.“ „Ja, das werde ich“, erwiderte sie bedauernd und stand auf. „Darf ich wiederkommen?“, fragte sie. „Ja“, sagte er. „Unbedingt.“
„Morgen?“
„Ich freue mich.“
An der Bushaltestelle spürte sie plötzlich, dass sie noch immer lächelte.
Und ihm ging es genauso.
18. Kapitel
Marion von Lehsten lag in ihrem Schlafzimmer, auf ihrem Bett und wollte sich am liebsten nie wieder bewegen. Der Fernseher am Bettende lief, irgendeine Talkshow, in der unwichtige Menschen über unwichtige Dinge redeten, völlig belanglos, aber sie brauchte eine optische Geräuschkulisse. Sie hatte Uschi nach Hause geschickt und noch nie war ihr das große Haus so leer und kalt vorgekommen. Sie fröstelte, obwohl sie sich unter ihre warme Cashmeredecke gekuschelt hatte. Ihr Körper fühlte noch die rauschhafte Stunde nach, die sie am Nachmittag mit Ludwig verbracht hatte, es war so schön und intensiv gewesen wie nie, obwohl oder weil sie wusste, dass es die letzte war. Nie hatte sie ihn wahnsinniger geliebt als dieses allerletzte Mal, nie war sie verzweifelter und wütender gewesen. Und nie hingabebereiter. „Ich liebe dich, ich liebe dich“, hatte er geflüstert, als sich ihre schweißnassen Körper endlich trennten. „Ich weiß nicht, wie ich ohne dich weiterleben soll.“
Als sie seine Wohnungstür hinter sich schloss und die Treppe hinunter auf die Straße ging, verdrängte ihre abgrundtiefe Traurigkeit jedes Gefühl von Schuld. Es war ja ein Abschied, dachte sie, ich verzichte auf die Liebe meines Lebens, weil ich meinen Mann nicht im Stich lassen will. Lustlos, entmutigt, griff sie zum Telefonhörer und wählte die Nummer des Krankenhauses. Sie ließ es ein paar Mal klingeln, legte dann schnell wieder auf. Sie hatte keine Ahnung, was sie ihm sagen sollte. Welche Rolle war angemessen in dieser Situation? Die mitfühlende Ehefrau lag nahe und sie hoffte, dass man ihr im Krankenhaus nicht angemerkt hatte, dass sie sich in ihr wie in einer Zwangsjacke gefühlt hatte. Zur liebevollen Krankenschwester eignete sie sich ebenfalls nicht, das wusste sie. Auch vor dem Unfall war sie eher ungeduldig geworden, wenn Hendrik kränkelte, es hatte sie kribbelig gemacht, wenn er bettlägerig war und nicht ins Büro ging. Sie hatte sich eingeschränkt gefühlt, wenn er tagsüber im Haus war, sie nicht unbeaufsichtigt kommen und gehen konnte. Ich tauge nicht für die Ehe, hatte sie oft gedacht, bis sie sich in Ludwig verliebte und in einer Weise mit ihm verschmolzen war, die sie nie für möglich gehalten hatte. Mit Ludwig, das wusste sie genau, wäre sie eine andere Frau als mit Hendrik. Eine bessere, fröhlichere, sinnlichere. Es machte sie traurig, darüber nachzudenken.
Sie wählte noch einmal und blieb diesmal dran, bis er sich meldete. „Marion?“, seine Stimme klang erstaunt. Hatte er sie nicht erwartet? „Wie geht es dir, Hendrik?“, fragte sie
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