Holst, Evelyn
fehlte) Grinsen, und wann immer sie so grinste, liebte Leonie sie von hier bis Timbuktu. Bis zum Mars und zurück. Mehr als alles auf der Welt. „Weißt du was Mama?“, Leonie schüttelte den Kopf. „Was denn, mein Schatz?“, Leonie legte den Kopf schief und sah sie an: „Bei mir wird gar keiner oppieriert, Mama, ich hab nur ganz gesunde Kranke.“
In diesem Moment klingelte das Telefon. Das wird Marius sein, dachte Leonie, sicher hat er vergessen, wie man den Pizzateig macht. Den wollte er nämlich für die am Abend geplante Pizzaorgie mitbringen. „Du musst die Hefe mit Mineralwasser vermischen“, sagte sie deshalb, als sie den Hörer aufnahm. „Beim letzten Mal war der Teig viel zu hart.“ Kurze Stille, dann ein tiefes, raues Lachen, leicht belustigt. „Danke für den Tipp, aber in der Reha gibt es leider keine Pizza.“
Leonie spürte, wie ihr das Herz bis zum Hals schlug, hart und heftig. Ihre Handflächen wurden heiß und feucht, sie musste sich setzen. „Hallo Hendrik“, flüsterte sie. „Woher hast du denn meine Nummer?“ „Recherche“, lachte er und als sie nichts erwiderte, fragte er besorgt: „Schlimm?“ „Nein“, sagte sie schnell. „Ganz im Gegenteil. Ich freue mich. Sogar sehr.“ „Ich würde dich gern mal wiedersehen.“ „Morgen?“, fragte sie und spürte, wie heiß ihr Gesicht wurde. „Soll ich etwas mitbringen, brauchst du was?“ Nur dich, hätte er fast gesagt, aber er verkniff es sich.
„Ich brauche nichts“, sagte er. „Bring mir bloß keine Blumen mit.“ „Okidoki“, grinste sie. „Aber wie wäre es mit meinen selbstgemachten Frikadellen? Scharf und fettig und so richtig ungesund?“ „Das wäre himmlisch“, sagte er. „Der Fraß hier in der Reha ist nämlich grauenhaft.“
Sie legten beide gleichzeitig auf.
Ich liebe ihn, dachte sie, ist das nicht der absolute Wahnsinn?
Ich liebe sie, dachte er, ich muss verrückt geworden sein.
Und dann lächelten sie.
22. Kapitel
Im Auto, auf dem Weg in die Rehaklinik, übte Marion von Lehsten, wie sie ihrem Mann das glückliche Ereignis beibringen sollte. Vorsichtig? Du da gibt es etwas, dass du vielleicht wissen solltest und ich hoffe sehr, du freust dich darüber. Sarkastisch? Also wirklich, als wenn wir nicht schon genug Sorgen hätten. Jetzt bin ich auch noch schwanger, so ein Mist. Kanonenschlagmäßig? Hendrik, ich bin schwanger. Nur die Wahrheit war als Variante nicht denkbar. Ich erwarte ein Baby, aber es ist nicht von dir, sondern von Ludwig, dem Mann, den ich von Herzen liebe.
Sie musste lügen, der Anstand erforderte es. Der Anstand, welcher Anstand eigentlich? Warum musste sie anständig sein? Weil der Mann, von dem sie sich trennen wollte, unverschuldet zum Krüppel geworden war? Was hatte sie damit zu tun? Ihre Ehe war doch schon lange ein Scherbenhaufen. Aber er hatte sich bemüht, das musste sie zugeben. Er hatte um sie geworben, als sie sich längst von ihm zurückgezogen hatte, hatte sich bemüht, als sie sich längst keine Mühe mehr gegeben hatte, hatte gekämpft, als sie längst in den Armen eines anderen Mannes gelegen hatte. Und drei Tage vor seinem Unfall war sie nachts nach Hause gekommen, noch warm von Ludwigs Küssen, und er hatte auf sie gewartet. „Wo kommst du her?“, hatte er gefragt und sie hatte ihn angelogen und etwas von alter Schulfreundin gemurmelt, die sie ganz überraschend getroffen hatte ... „Glaubst du dir selber, Marion?“, hatte Hendrik gesagt und sie ganz ruhig angeschaut. Nein, hätte sie erwidern müssen, aber sie wollte nicht mehr reden, sie wollte ... Und dann war er einfach aufgestanden und hatte sie aufs Bett gezogen und irgendwann wollte sie sich auch gar nicht mehr wehren, weil seine Haut so gut roch und so vertraut und weil seine Lippen so weich waren und weil es einfacher war, nachzugeben. Doch dann hatte er sich plötzlich zurückgezogen und sich mit einem „Ich bin müde, tut mir leid“ auf die Seite gedreht. Kurz darauf war er eingeschlafen und hatte den Vorfall nie wieder erwähnt.
Marion parkte auf dem Besucherparkplatz, stellte den Motor ab und stieg aus dem Auto. Ihr Herz war ein harter, fester Klumpen, der sich wie ein Fremdkörper in ihr anfühlte. Fröstelnd zog sie ihren Mantel zusammen und ging auf das Gebäude zu, in dem der Mann lag, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen würde. Dem Vater ihres Kindes. Nicht seines, aber das würde er nie erfahren.
Hendrik von Lehsten blätterte wieder in dem alten Band mit Liebesgedichten von
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