Holunderküsschen (German Edition)
Freundin?“
Ich nicke und schnäuze mich erneut. Die alte Frau verzieht ein wenig das Gesicht.
„Dann fahren sie doch zu ihrer Freundin und erzählen ihr von ihrem Kummer.“
Ich stehe auf und bedanke . .
„Und denken Sie daran: Kopf hoch, auch wenn der Hals noch so dreckig ist.“
„Und dann ist er einfach gegangen?" Soweit ich es aus meiner Position erkennen kann, sieht Katja mich fassungslos an.
„Ja. Ohne sich noch einmal umzudrehen!", bestätige ich ihre Frage.
„Und du hat ihn nicht aufgehalten?"
„Nein." Zu mehr komme ich nicht, da mir warmes Wasser über das ganze Gesicht in den Mund läuft.
„Hey, Harald, könntest du bitte aufpassen, sonst ertrinke ich." Ich blinzele die Wassertro p fen aus meinem Auge weg.
„Ups. Das passiert mir normalerweise nicht, aber unter diesen Umständen . Die Sache bringt mich selbst völlig aus der Fassung", entschuldigt sich Harald und tupft mir hektisch mit einem Handtuch über das Gesicht.
„Das wäre ja mal ne Schlagzeile: Frau ertränkt sich vor Liebeskummer beim Friseur.“ Katja kichert.
Harald wirft ihr einen bösen Blick zu. „Man kann Kummer auch etwas Positives abgewi n nen. Kummer erweckt die Kreativität in einem Menschen. Ich glaube, nichts Weltbewegendes wurde jemals von einer Frau geschaffen, die zufrieden und glücklich in einem kleinen Reihe n haus inmitten einer spießigen Siedlung lebte. Zu etwas wirklich Großem gehört eine Portion Schmerz. Deshalb mach bitte nichts Unüberlegtes, Liebelein.“
„Manchmal überraschst du mich wirklich“, prostet Katja Harald zu.
Wir sitzen zu dritt in Haralds Friseursalon. Heute ist Ruhetag. Keine Kunden, keine Ang e stellten. Nur Harald, Katja und ich. Sergej hängt irgendwo auf einem Meeting fest und konnte deshalb nicht kommen. Mein Kopf hängt auch, jedoch über dem Waschbecken . W ährend mir der Meister persönlich, in der rechten Hand ein Glas Prosecco haltend, mit der linken die Haare wäscht.
„Und du bist dir ganz sicher?" Der Zweifel in Katjas Stimme ist nicht zu überhören.
„Hey, auf welcher Seite stehst du eigentlich? Natürlich bin ich mir sicher!“ Ein Wassertro p fen läuft mir kitzelnd über das Kinn. „Ich bin verletzt. W ütend. Und gedemütigt.“ Und ich bin durcheinander, füge ich still hinzu. Ich bin so durch den Wind, dass ich das Gefühl habe, mein Kopf platzt.
„Aber deswegen zurück zu Johann zu gehen?“ Katja wiegt den Kopf hin und her. „Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist.“
„Warum?“
„Na ja, du neigst schließlich des Öfteren dazu, vorschnelle Entscheidungen zu treffen“, e r klärt sie mit ihrer Deeskalationsstimme. „Die du vielleicht hinterher bereust.“
„Aber ich dachte, sie hätte Schluss mit diesem Johann gemacht", näselt Harald.
„Hab ich ja auch", entrüste ich mich. „Aber ich werde doch mal meine Meinung ändern dü r fen. Ich bin schließlich eine Frau."
Katja ver dreht die Augen. Harald schürzt die Lippen.
„Jedenfalls habe ich Johann angerufen und ihm gesagt, er soll den Platz neben sich im Flu g zeug für mich frei halten. Deswegen sind wir schließlich hier. Schon vergessen? Wir feiern me i nen Abschied von Hamburg." Ich hebe mein Glas. Eigentlich ist mir gar nicht nach feiern zum u te. Mein Bauch fühlt sich seltsam hohl an.
„Ach Göttle", jammert Harald und unterbricht seine Haarwaschung. Seine kleinen Schweinsäuglein sehen wässrig von oben auf mich herab. „Ich weiß genau, wie sie sich fühlt. Als Roberto mich verlassen hat, war ich auch wochenlang nicht zu gebrauchen. Und vor lauter Kummer habe ich zehn Kilo zugenommen. Ich habe mich wie der einsamste Mensch auf der ga n zen Welt gefühlt.“ Eine Träne glitzert in seinen Augen.
„Harald“, ermahnt ihn Katja, „das ist nicht sehr hilfreich. Wir sollten Julia mit positiven Gedanken aufbauen und nicht die schwarzen Schwingen rausholen.“
„Ach du meine Güte , sorry !“ Harald wedelt mit der Hand in der Luft. „Manchmal übe r mannt mich der Schmerz noch. Entschuldigt bitte.“ Er greift energisch in meine Haare und fängt an, sie mit seinen haarigen Pranken zu malträtieren. Zumindest wird mir jetzt klar, warum Robin normalerweise die Haarwäsche übernimmt. „Roberto war der Mann mit dem ich ein Leben lang zusammenbleiben wollte, auch wenn ich einen klitzekleinen Seitensprung nie ausgeschlossen hätte. Ich meine, was bedeutet schon der Körper, so lange er mir seelisch treu bleibt?“ Harald seufzt erneut und seine Brust bebt.
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