Holunderküsschen (German Edition)
auf seine Schuhe gekotzt", vollendet Katja meinen Satz.
Ich nicke betroffen.
So wie sie es sagt, hört es sich noch schlimmer an, als es war. Um ehrlich zu sein, hat sich der Kuss eigentlich ganz gut angefühlt. Wenn mein Magen nicht diesen Hüpfer gemacht hätte, hätte ich direkt Gefallen daran finden können.
„Und danach hat er dich aufs Bett gelegt und ... äh?“
Ich spüre, wie mein Gesicht von einer flammenden Röte überzogen wird.
„Ausgezogen?“ Schon wieder dieser misstrauische Unterton!
„Was hat es sonst zu bedeuten, wenn du am Morgen nur noch mit deiner Unterwäsche b e kleidet aufwachst und der Typ verschwunden ist?“ Dass ich Benni kurz vor meiner Flucht aus dem Zug noch einmal gesehen habe, verschweige ich, um dem Geschehen mehr Dramatik zu verleihen.
„Das ist ja wirklich eine ganz üble Geschichte. Wer weiß, was der Typ alles mit dir ang e stellt hat, während du bewusstlos warst!“
Mir wird heiß und kalt. Meine Phantasie galoppiert mit mir auf und davon. Vielleicht hat der Kerl doch Fotos von mir gemacht? Schließlich befand sich in seinem Koffer eine Kamera.
„Und du kennst nur seinen Vornamen?“, bohrt Katja weiter. So langsam komme ich mir vor wie bei einem Verhör. Fehlt nur noch die Neonlampe, deren Licht direkt auf mein Gesicht geric h tet ist.
Ich knabbere an meinem Daumen und ziehe mit den Zähnen einen kleinen Hautfetzen ab. „Ich habe mich ein wenig in seinem Koffer umgesehen.“
„Und?“, fragt Katja ungeduldig.
„Nichts.“ Ich überlege. „Doch!“
„Was denn nun: Ja oder Nein?“, drängelt Katja, die es wieder mal genau wissen will.
„Er hatte ein Foto von sich und seiner Freundin im Koffer“, erlöse ich sie.
„Das Schwein ! “, sagt Katja entschlossen. „Die Arme ahnt wahrscheinlich nichts von dem Doppelleben ihres Freundes. Vermutlich hat sie die ganze Nacht sehnsüchtig auf ihn gewartet.“
„Gut möglich – und dabei sah er so gut aus.“ Der letzte Teil des Satzes ist mir nur so rau s gerutscht, aber Katja ist sofort in Alarmbereitschaft.
„Wie?“ Jetzt ist Katja verwirrt. „Was meinst du mit » sah so gut aus «?“
„Na ja , groß , sportlich, dunkle Locken, einen wunderbar geschwungenen Mund und braune Augen mit kleinen goldenen Punkten darin“, beschreibe ich ihn.
„Okay, hört sich gut an“, bestätigt Katja. „Trotzdem darfst du jetzt den Fokus nicht verli e ren. Erstens, der Typ hat deine Situation schamlos ausgenutzt. Zweitens, wir wissen nicht, ob er vielleicht sogar Drogen benutzt hat, um dich gefügig zu machen und drittens, der Mann ist ve r heiratet oder lebt zumindest in einer festen Beziehung.“
„Stimmt.“
Wobei ich innerlich leise Zweifel hege. Eigentlich war der Typ ja ganz nett, und d ann diese Lippen ...
„Pumbi. Bist du noch bei mir?“ Katja wedelt hektisch mit der Hand vor meinem Gesicht.
„Ja, ja“, nicke ich und das Antlitz von Benni verpufft.
„Mann, du bist echt ein Pechvogel“, bedauert mich Katja. „So etwas liest man sonst nur in der Zeitung. Du weißt schon, in diesen bunten Blättchen, die immer bei den Ärzten in den Wart e zimmern ausliegen. Erst betrügt dich dein Verlobter mit Titten-Annette und dann fällst du einem perversen Lustmolch in die Arme. Das nenne ich ein Drama!“
Ich nicke, betäubt von Katjas Worten. Meine beste Freundin hat absolut recht, wie immer. Ich bin ein Pechvogel, ein Unglücksrabe, der seinesgleichen sucht. Ich lasse meinen Kopf hängen und verfalle in dumpfes Schweigen. Etwas, das mir äußerst selten passiert. Meine Tante Siggi meinte immer zu meiner Mutter – und das mit einem tiefen Ton des Bedauerns in ihrer Stimme – dass man mein Mundwerk extra totschlagen müsste, wenn ich mal sterbe. Meine Mutter hat dann immer gelacht. Bis heute weiß ich nicht, ob sie das als Witz oder ernst meinte. Heute wünschte ich, jemand hätte mein Mundwerk gestern Nacht totgeschlagen, bevor es vorwitzig alles aus dem Nähkästchen geplaudert hat. Vielleicht habe ich eine von diesen seltenen Krankheiten, von d e nen man immer wieder liest. Es wäre doch möglich, dass mein Gehirn anders als bei anderen Menschen arbeitet , und mich Dinge sagen lässt, die ich gar nicht sagen will.
„Das kriegen wir schon wieder hin. Johann war schon der Falsche, bevor er dich mit der Annette betrogen hat“, sagt Katja. „Pumbi, du liebst unter deinem Niveau. Nimm die Sache als Tritt in den Hintern und nimm dein Leben endlich selbst in die Hand. Und der Typ aus der Bahn: vergiss
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