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Holunderküsschen (German Edition)

Holunderküsschen (German Edition)

Titel: Holunderküsschen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Gercke
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Vorgang dauert nur einen Wimpernschlag lang . Schon ist ein vorzeitiges Urteil gefällt, mit dem man im Zweifel jahrelang klarkommen muss. Ist die Frau hässlich, sind die Blicke, die der Musterung folgen, eher gleichgültig und im schlimmsten Fall sogar bedauernd. Ist die Frau schön, wird sie als Konkurrentin eingestuft, was bedeutet, dass man sie mit feindseligen Blicken oder sogar Ä u ßerungen empfängt. Hm, die gucken alle mitleidig . A ußer die kleine Dunkelhaarige hinten in der Ecke, die lächelt mich an. Mitleid?
    „Okay“ murmele ich leise. Katja hat gesagt, ich soll mich möglichst unauffällig verhalten, das wirke bei den Personalchefs immer besser, als wenn man zu aufdringlich sei. Also niemanden anstarren! Nicht hingucken! Einfach ganz cool bleiben! Ich konzentriere mich ganz auf den bla u grauen Teppich, der die Besucher direkt zum Empfangstisch führt. Ich werde hier niemanden anglotzen. Ich starre niemanden an. Ich werde nicht ...
    „Hey, passen Sie doch auf!“
    Ups. Ich war so damit beschäftigt, mich zu konzentrieren, dass ich die kleine Aktentasche am Boden übersehen habe , darüber stolpere und geradewegs auf den Tresen klatsche. Mist ! M e i ne Haare, die eben noch seidig zu einem eleganten Knoten geformt waren, fallen mir vors G e sicht. Harald ade! Leises Kichern meiner Konkurrentinnen. Mein Gesicht steht in Flammen, als ich zu der erstaunten Sekretärin hochsehe.
    „Hoppala. Tut mir leid“, flüstere ich.
    Die Empfangsdame hebt die rechte Augenbraue und mustert mich wie die böse Stiefmutter das Schneewittchen.
    „Julia Zoe Löhmer“, stottere ich weiter. „Äh, ich habe einen Termin um 15.00 Uhr.“ Na toll, wenn mein Bewerbungsgespräch so verläuft wie mein Auftritt gerade eben, dann kann ich direkt wieder gehen. So viel ist sicher. Während ich noch um Fassung ringe und mir eine Strähne aus dem Gesicht puste, höre ich die anderen Frauen miteinander tuscheln.
    „Na, so wie die sich aufführt ...“
    „Unmöglich ...“
    „Hast du gesehen, wie die nach vorne gefallen ist ... zu komisch.“
    „Meine Damen“ , d ie Sekretärin am Empfang klatscht in die Hände, „dürfte ich Sie kurz um ihre Aufmerksamkeit bitten?“ Die Stimmen verstummen. „ Zunächst möchte ich mich für ihre Geduld bedanken . “ Sie wirft einen strafenden Blick in meine Richtung. Hallo, als ob ich schuld daran bin, dass mir eine der Ziegen ihre Aktentasche in den Weg stellt. „Ich bitte die kleine Ve r zögerung zu entschuldigen, aber manchmal gehen aktuelle Ereignisse vor. Der Herr Bürgermei s ter war heute überraschend zu einem spontanen Interview in unserem Haus.“ Sie macht eine b e deutungsvolle Pause, als hätte sie selbst ein Treffen mit ihm gehabt. Nicht, dass ich die Wichti g keit des Ereignisses schmälern möchte . Das ist schon eine tolle Sache, wenn der Bürgermeister von Hamburg persönlich anrauscht ... aber Brad Pitt wäre deutlich imposanter.
    „Ich darf Sie nun in den dritten Stock Zimmer 43 bitten, wo man Sie bereits erwartet. Sie werden der Reihenfolge nach aufgerufen.“ Die ersten Frauen hasten los. Also, auf geht‘s! Ich folge meinen Mitbewerberinnen mit gesenktem Blick. Nur nicht weiter auffallen. Wir fahren mit dem Fahrstuhl in den dritten Stock.
    Mit einem leisen »Pling« öffnet sich die Tür und ich werde von der Menge nach draußen geschoben. Ein schneller, nicht glotzender Rundblick. Raum 43 liegt direkt vor mir. Artig setze ich mich auf einen der Sessel. Geschafft! Ich atme tief ein , lasse meinen Blick durch den Raum schweifen und versuche dabei möglichst viele Details zu erfassen. Helle Beleuchtung . N icht sehr vorteilhaft . D ie meisten Bewerberinnen sehen aus, als hätten sie die Nacht auf dem Klo ve r bracht. Jede Menge brauner Ledersessel und ein kleiner Tisch, auf dem Kaffee- und Tee- Kannen aufgebaut sind. Keine der Frauen nimmt sich etwas. Ich hingegen verspüre einen geradezu u n stillbaren Durst.
    Der Kaffee ist schön heiß, als ich ihn mir einschenke. Ich will gerade einen Schluck ne h men, als ...
    „Frau Löhmer, bitte!“
    „Ja!“ Ich zucke zusammen und Kaffee schwappt auf meine Bluse. Das kann ja wohl nicht wahr sein! Erst die Nummer mit der Tasche und jetzt das. Ein riesig brauner Fleck breitet sich auf meiner Bluse aus. Panisch sehe ich mich um. Eine junge Frau mit einem sympathischen Gesicht steht auf und reicht mir lächelnd ein Taschentuch. Dankbar nehme ich ihr Angebot an und tupfe so gut es geht auf dem Fleck herum. Gott sei Dank

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