Holunderküsschen (German Edition)
einer lässigen Handbewegung greift Harald zum Föhn. Sekunden später bin ich von ohrenbetäubendem Lärm umgeben. Dass Harald föhnen muss, werte ich als gutes Ze i chen . S chließlich kann man nur föhnen, wenn es noch etwas zu F öhnen gibt.
„Tataaa.“ Mit einem Ruck zieht Harald mir den Schutzumhang von den Schultern und wi r belt mich auf dem Stuhl herum. „Ach Göttchen, sie sieht einfach bezaubernd aus. Aus dem häs s lichen Entlein wurde ein Schwan. Meine Damen, sehen sie nur!“ Er wedelt mit den Händen durch die Luft. „Eine Prinzessin! Wenn sie morgen in das Personalbüro kommt, werden sie ihr einen roten Teppich ausrollen.“
Ich starre auf das Gesicht im Spiegel keine zwei Schritte von mir entfernt. Kann es sein? Bin das wirklich ich dort im Spiegel? Ich habe Haare – tolle, lange Haare! Ich bewege meinen Kopf zu allen Seiten. Wie eine seidig schimmernde Matte schwingen meine Haare hin und her. Ich bin so glücklich, dass ich vor Freude aufspringe.
„Hab ich es dir nicht gesagt, der Harald ist ein wahrer Künstler“, kreischt Katja und schlingt ihre Arme von hinten um mich. „Pumbi, du siehst klasse aus!“
„Sie sieht aus wie eine Königin“, korrigiert Harald und nippt an seinem Prosecco-Glas.
„Aber wie ... wie hast du das nur gemacht?“, frage ich, noch immer fassungslos über mein Spiegelbild. „Das hat noch nie ein Friseur bei mir geschafft. Ich habe lockige ... glatte Haare!“ Das ist wahr. Meine Haare fallen in weichen schimmernden Wellen auf meine Schultern. Keine Krause mehr, die mich aussehen lässt , als hätte es sich ein Pudel auf meinem Kopf gemütlich gemacht.
„Liebelein, ich verstehe mich eben als Künstler und nicht als Friseur. Friseur kann jeder, das hier aber ist Kunst in seiner höchsten Vollendung. Menschen sind meine Passion und bei ihr wusste ich gleich, dass sie Starpoten z ial besitzt.“
Ich spüre, wie eine flammende Röte mein Gesicht überzieht. Wenn mich Hartmännchen doch nur sehen könnte, schießt es mir durch den Kopf. Hör auf mit dem Scheiß, der Kerl hat dich betrogen, ermahne ich mich selbst zur Vernunft. Trotz alledem fehlt mir mein Hartmännchen doch. Schließlich waren wir vier Jahre lang zusammen. Nach so einer langen Zeit legt man einen Mann nicht einfach so ab als wäre er ein ausgeleiertes T-Shirt. Ausgeleierte T-Shirts sind schlie ß lich bequem.
Die Kreditkarte brennt in meiner Hand, als ich sie Harald reiche, um meine Rechnung zu begleichen. Seine Augenbraue schnellt nach oben, eigentlich zuckt sie mehr, da Haralds Gesicht durch Botox so gut wie stillgelegt ist. Aber dafür hat der Mann fast keine Falten.
„Ähm, gehört meinem Ex“, stammle ich verlegen.
„Nimm den Höchstsatz“, ruft Katja fröhlich und prostet mir zu. „Das Schwein hat es ve r dient.“
„Für die Gerechtigkeit“, antwortet Harald und zieht die Karte mit gleichgültiger Miene durch den Apparat. Es piepst und die Rechnung rattert fröhlich durch. Harald reicht mir die Karte samt der Rechnung. „Liebelein, es war mir ein Vergnügen, mit ihr Geschäfte zu machen.“
Ein Blick darauf genügt, um zu wissen, dass Johann mit Sicherheit einen Anfall erleiden wird, wenn er davon erfährt.
5. Julias Facebook Status: Daumen drücken ...
Den heutigen Vormittag habe ich damit verbracht, meine Bewerbungsunterlagen auf Vo r dermann zu bringen – i ch möchte sagen, eines meiner wenigen Meisterwerke – und bin auf dire k tem Weg zu meinem Vorstellungsgespräch beim Hirsekorn -Verlag .
Im Vorbeigehen werfe ich einen Blick in das Schaufenster und betrachte mein Spiegelbild. Gar nicht so übel. Ich nähere mich dem Mediagebäude des Verlages . Als ich die grauen Steinst u fen mit den Steinlöwen darauf hinaufsteige, werde ich ein bisschen nervös.
Was wollte ich noch mal alles sagen?
Nun ja, ich werde einfach offen, freundlich und fast ehrlich sein. Dass man bei einem Vo r stellungsgespräch völlig ehrlich ist, erwartet schließlich auch niemand.
Vor mir liegt der Haupteingang. Durch die Glastür des Gebäudes kann ich den Empfang s e hen, wo bereits einige Frauen in Kostümen herumstehen. Um Himmels willen, die sind doch ho f fentlich nicht alle wegen der Stelle hier?!
Als ich durch die schwere Drehtür gehe, spüre ich die Blicke der Kostüm-Frauen auf mir ruhen. Die Blicke sind nicht gerade freundlich. Typisch weibliches Konkurrenzverhalten. Wenn Frau auf gleichgeschlechtliche Artgenossen trifft, wird das Gegenüber taxiert. Dieser
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