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Holunderküsschen (German Edition)

Holunderküsschen (German Edition)

Titel: Holunderküsschen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Gercke
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Erschreckt halte ich ihn eine Armlänge weit weg von meinem Ohr, das jetzt in den höchsten Tönen pfeift. „Die Julia hat einen neuen Job.“
    Die Julia! Ich hasse es, wenn meine Mutter so über mich redet, als wäre ich eine entfernte Verwandte. Es klickt im Hörer. Ein sicheres Zeichen, dass meine Mutter auf Lautsprecher umg e stellt hat.
    „Wo denn? Hier in Freiburg? Hat dich Johann befördert?“ Sie kichert.
    „Mama“, schüttele ich den Kopf. „Ich habe doch gesagt, ich bin in Hamburg!“
    „Wie? Und Johann? Haben die eine Zweigstelle von Hartmann & Sohn in Hamburg aufg e macht? Davon wusste ich ja gar nichts. Hast du davon gewusst, Klaus-Peter?“
    „Nein“, höre ich meinen Vater in den Lautsprecher brummen. „Schließlich telefonierst du ständig mit ihr. Ich erfahre immer als Letzter, was eigentlich los ist.“
    „Ich habe eine neue Stelle bei einem großen Verlagsunternehmen angeboten bekommen“, erkläre ich.
    „Und als was?“, fällt mir meine Mutter ins Wort.
    „Als Redakteurin für ein Reisemagazin“, erkläre ich. „Das ist eine ganz tolle Stelle . Ich fliege auf Kosten des Senders durch die Welt  und schreibe Reportagen darüber , was ich dabei so erlebe. Ich wohne nur in den besten Hotels und fliege immer Business Class mit der Lufthansa .“ Meine Mutter liebt Lufthansa , seit sie bei ihrem Urlaubsflug nach Bangkok vor zwei Jahren ein Upgrade in die Business Class  bekommen hat. Sehr zum Leidwesen meines Vaters, da meine Mutter seitdem auf einen Business-Sitz besteht. Ich trage mit Absicht ein bisschen auf, in der Hoffnung, dass sie vor lauter Begeisterung vergisst, erneut nach Johann zu fragen.
    „Und Johann kommt mit?“ Das war dann wohl eine Fehlanzeige.
    „Tja, äh. Ich muss euch da was erklären“, fange ich an. „Mama, Papa. Es tut mir so leid ...
    „Klaus-Peter, jetzt drängele dich doch nicht so vor“, schimpft meine Mutter. „Man könnte meinen, du hast in der letzten Woche wieder zugenommen. Hast du wieder heimlich von der fe t tigen Wurst gegessen?“ Ich höre wie mein Vater leise stöhnt. Diese Sache mit seinem Gewicht ist ein ständiges Problem zwischen den beiden und führt meistens zu endlosen Diskussionen.
    „Und wie sehen deine Pläne mit Johann aus?“
    „Ich weiß nicht.“ Ich reibe mir übers Gesicht. „Ich muss erst mal über die ganze Sache wegkommen. Mich neu orientieren.“
    „Neu orientieren!“, wiederholt sie ätzend. „Und du glaubst, du findest etwas besseres als Johann?“
    Ihr Ton ist wie ein Peitschenhieb, lässt mich zusammenzucken. „Ich weiß nicht, Mama. Es ist alles noch so frisch, dass Johann mich betrogen hat. Ich kann die Sache nicht einfach ...“
    „Doch, du kannst. Johann hat dich nicht wirklich betrogen. Ich habe bereits Schritte zu de i nem Glück eingeleitet.“
    Johann hat mich nicht betrogen? War das, was ich gesehen habe, etwa eine Fata Morgana ? Und was heißt überhaupt sie »habe Schritte eingeleitet«??
    „Was hast du ...?“
    „Ich habe meinen ganzen mütterlichen Charme spielen lassen. War keine einfache Sache, aber Johann hat mir versprochen, sich das Ganze noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen.“
    Ich starre fassungslos mein Handy an. „Du hast mit Johann gesprochen?“
    „Wenn alles gut geht, seid ihr nächstes Jahr glücklich verheiratet.“ Ihre Stimme klingt ene r gisch triumphierend. „Diese Chance, ein glückliches und zufriedenes Leben in Wohlstand zu führen, hast du alleine mir zu verdanken. Du kannst dir nicht vorstellen wie viel Überredung s kunst es mich gekostet hat, Johann davon zu überzeugen, dass du die Richtige für ihn bist. Solltet ihr wieder zusammenkommen, dann wirst du dich ganz schön anstrengen müssen.“
    „Ja“, sage ich automatisch. Ich schließe die Augen. Meine Gedanken schwirren durch den Kopf. Wieder zurück nach Freiburg, zurück zu Hartmann & Sohn , zurück zu Rosen und Horte n sien. Zurück zu Johann. Warum bin ich nicht erleichtert? Warum bin ich nicht happy?
    „Ich meine, nein“, höre ich mich sagen. „Nein, ich will das nicht. Ich bin 29 Jahre alt. Ich kann mein Leben selber regeln. Das mit Johann übersteigt ... das ist ... es ... ist einfach zu viel ...“
    „Wie bitte?“ Die Stimme meiner Mutter klingt wie eine Kettensäge im Anschlag. „Julia, was in aller Welt ist nur in dich gefahren?“
    „Ich weiß auch nicht.“ Ich ziehe mir einen Hautfetzen vom Daumen während ich versuche Klarheit in das Chaos meiner Gedanken und Gefühle zu bringen.

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