Holunderküsschen (German Edition)
T-Shirts. Nachdem ich fertig bin, schaue ich mich in meinem kleinen Reich in Katjas Wohnung um. Mein Zimmer wirkt karg wie eine Mönchzelle. Keine Bilder, grau gestrichene Wände und weiße Möbel. Im Regal stehen sorgfältig aufgereiht mehrere Bücher über Marketingstrategien und alle Ausgaben des Manager Magazin der letzten vier Jahre, die ich mir aus Katjas Schrank geklaut habe. Ich finde, dass sie sich in meinem Regal viel besser machen, jetzt, wo ich eine aufstrebende Journalistin bin. Außerdem ein juristisches Handbuch, mit dem man jeden Einbrecher problemlos erschlagen könnte. Ich habe in den letzten drei Tagen die reichlich triste Auswahl durch mehrere Zeitschriften ergänzt, die ich im Zuge meiner Neuorientierung erstanden habe. Eine Kollektion sämtlicher Ausgaben der Holiday Dream des Hirsekorn- Verlag es , seit ihrem Erscheinen, dem habe ich noch die Geo Saison und die Merian von der Konkurrenz hinzugefügt. Der Spiegel und der Focus liegen daneben, um den ganzen einen Hauch von Intellektualität zu verleihen. Die Brigitte habe ich tatsächlich zum Lesen gekauft, schließlich muss man als Frau von Welt immer auf dem neusten Stand sein Allerdings habe ich in der Brigitte bisher nur den Artikel „Mein neues Selbstwertgefühl“ gelesen. Den Rest habe ich intensiv durchgeblättert, während ich mich parallel durch sämtliche Fernsehkanäle g e zappt habe.
Mein Handy klingelt und ich springe hoch. Seit vier Tagen bin ich nun schon in Hamburg und immer noch kein Lebenszeichen von Johann. Ich hätte schon erwartet, dass er sich wenig s tens nach meinem Befinden erkundigt. Aber seit seinem letzten Anruf bei meiner Ankunft , habe ich nichts mehr von ihm gehört. Als ich den Namen auf dem Display lese, lasse ich das Handy vor Schreck fast fallen.
»Queen Bee«, die geheime Bezeichnung für meine Mutter.
Mein Magen zieht sich krampfartig zusammen. Ich hätte sie schon vor Tagen anrufen so l len, aber mir fehlte einfach der Mut dazu. Ich klappe das Handy auf und hole tief Luft.
„Julia Zoe Löhmer.“
„Jetzt tu nicht so . A ls ob du nicht gesehen hättest, dass ich es bin. Ich bin zwar deine Mu t ter, aber nicht blöd. Du sagst mir sofort was los ist oder ich komme persönlich vorbei um dir den Kopf zu waschen.“ Kein Gruß, kein Nichts – gleich zur Sache. Dabei schreit sie so laut in den Hörer, dass ich befürchte einen bleibenden Hörschaden davonzutragen.
„Hallo Mama“, erwidere ich schwach und versuche den Kloß im Hals herunterzuschlucken. „Schön, dass du anrufst.“ Das ist zwar eine glatte Lüge, aber so ist es bei mir immer, wenn ich mit meinen Eltern rede. Es vergehen keine zehn Minuten in ihrer Gegenwart und ich habe mich bereits in ein Geflecht aus Notlügen verstrickt. Natürlich nur zu ihrem Besten . S chließlich sollen sie das Gefühl haben, bei mir alles richtig gemacht zu haben.„Wie geht es dir und Papa?“
Meine Mutter schnaubt wütend am anderen Ende. „Versuch nicht mich abzulenken, junges Fräulein. Wie lange muss ich noch warten, bis du mir endlich sagst, was los ist?“
„Wieso?“ Ich versuche es auf die Unschulds-Lamm-Masche.
„Ich habe in deinem Büro angerufen , nur um zu hören, dass du seit Tagen nicht mehr bei der Arbeit warst. Kannst du mir also bitte erklären, was das Ganze soll?“
„Tja also. Ich bin ... äh ...“
„Wo bist du?“, schneidet sie mein Gestammel ab.
„In Hamburg. Ich bin ... auf einen Kurzbesuch zu Katja gefahren“, versuche ich die Situat i on etwas zu entschärfen. Johann und meine Eltern haben ein sehr gutes Verhältnis. Für meine Mutter war Johann von Anfang an der ideale Schwiegersohn, höflich, aus gutem Hause und wohlhabend. Dass er sich ihnen gegenüber eher reserviert verhalten hat, hat sie wenig intere s siert.
„Und deswegen hast du deine Stelle gekündigt und Johann verlassen?“ Meine Mutter klingt ernsthaft überrascht.
„Hat er das gesagt? Nein, natürlich nicht. Ich musste einfach mal raus“, erkläre ich ihr. „Ich bin gekündigt?“
„Mit dir ist doch was“, bohrt meine Mutter weiter.
„Äh, nein.“ Das ist schließlich nicht gelogen! Als einen Streit kann man diesen Zwische n fall wirklich nicht bezeichnen. „Ich wollte euch eigentlich erst überraschen, wenn die Sache spruchreif ist . Ab er – ich habe eine neue Stelle“, verkünde ich. Jetzt ist auch schon alles egal.
Ich höre, wie meine Mutter nach Luft schnappt. „Klaus-Peter, komm mal her!“, schreit sie aus vollem Halse in den Hörer.
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