Holunderliebe
ertönte Hemmas lautes Schreien – das Augenblicke später vom ersten Schrei des Neugeborenen unterbrochen wurde.
Bertrada kam aus dem Nebenzimmer und hielt Thegan ein kleines Bündel hin, aus dem es leise quäkte. »Hier ist deine Tochter. Kümmer dich um sie, während ich deine Frau versorge.«
Eine Tochter. Thegan sah fassungslos auf das kleine rote Gesicht, das zwischen den Tüchern lag. Die Äuglein waren offen, und der kleine Mund schien nach Nahrung zu suchen. Er hielt ihr ungläubig seine Hand vors Gesicht, und sie fing an, heftig an einem Knöchel zu saugen. Die Kleine hatte Hunger.
»Ich habe eine Tochter!«, rief Thegan.
Routger erhob sich und stellte sich neben seinen Schwiegersohn. Während er seine Enkelin betrachtete, lief ihm eine Träne übers Gesicht. »Meine Enkelin«, murmelte er. »Und Hemma ist am Leben!«
»Richtig!«, sagte Bertrada. »Und ihr dürft sie jetzt auch besuchen!«
Mit dem winzigen Säugling im Arm, der immer noch heftig an seinem Knöchel saugte, kam Thegan zu Hemma. Sie lächelte ihm entgegen. »Ich habe dir doch gesagt, dass alles gut wird.«
Noch bevor Thegan etwas erwidern konnte, stand Routger an Hemmas Bett, kniete nieder und ergriff ihre Hand. »Seit Monaten nehme ich Abschied von dir – und jetzt dieses Wunder! Du hast keine Ahnung, wie glücklich ich bin …«
»Wahrscheinlich doch.« Hemma sah ihren Vater an. »Ich habe deine Angst gesehen und konnte dir nicht helfen. Was nützt es denn, wenn ich in einem fort erkläre, dass ich anders als meine Mutter bin? Mich kriegt niemand unter, da bin ich mir jetzt sicher!« Ihr Blick wanderte weiter zu Thegan, Walahfrid und Bertrada, die sich im Hintergrund hielten. »Aber ich habe auch die besten Menschen um mich, die man sich wünschen kann. Wie hätte mir etwas passieren können mit einem so kräuterkundigen Mönch, einer helfenden Hebamme und meinem Mann an meiner Seite?«
Thegan trug das kleine Kind zu Hemma. »Sie ist wunderschön«, flüsterte er, als er ihr das kleine Mädchen in den Arm legte. »Und ich fürchte, sie ist sehr hungrig.«
»Dann wird es Zeit, dass ihr wieder den Raum verlasst«, ordnete Bertrada mit an. »Ihr solltet Mutter und Kind wenigstens einen Augenblick alleine lassen, damit sie sich aneinander gewöhnen können.«
Keiner der Männer wagte zu widersprechen, und sie ließen sich von der erschöpft wirkenden Hebamme aus dem Zimmer scheuchen, als wären sie willenlose Schafe. Walahfrid nahm sich seinen Umhang und suchte seine Kräuter und Beutelchen zusammen, um sie in einen großen Sack zu packen. Thegan legte ihm eine Hand auf die Schulter.
»Ich habe dir zu danken, mein Freund«, erklärte er leise. »Nur du hast gerade noch rechtzeitig herausgefunden, was es mit dem geheimnisvollen Samen der Mauren auf sich hat. Damit hast du wohl Hemmas Leben gerettet.«
Ein leises Schulterzucken war die Antwort. »Tragisch ist dabei nur, dass wir niemandem sonst helfen können. Ich habe die Samen bis hin zum letzten Kügelchen für dein Mädchen verbraucht. Wir werden diese Ambrosia wohl niemals anderen Frauen geben können. Das bedrückt mich – es wäre so einfach gewesen, wenn wir nur etwas früher darauf gekommen wären, was wir mit dem Samen tun sollen. Vielleicht bin ich doch nicht das Genie, für das ich mich so gerne halte. Und Eitelkeit wird vom Herrn sofort bestraft.« Er schüttelte den Kopf und sah trotz seiner jungen Jahre müde aus.
»Wie konnten wir auch ahnen, dass wir die Lösung unseres Rätsels die ganze Zeit in den Händen hielten?« Thegan nahm Walahfrid an beiden Schultern und sah ihn an. »Du hast heute gleich mehrere Leben gerettet, Walahfrid Strabo. Geh und danke deinem Schöpfer dafür, dass er dir einen so scharfen Verstand gegeben hat. Der Kaiser in Aachen ist zu beneiden um seinen neuen Berater. Du wirst in diesem Reich unersetzlich werden.«
»Eitelkeit ist eine Sünde«, meinte Walahfrid lächelnd. »Ich bin nicht so dumm, auf diese Verlockung des Teufels hereinzufallen. Du weißt doch: Wen Gott hoch erhebt, den lässt er auch tief fallen. Ich sollte mich weiter bemühen, den Herrn im Himmel bei Laune zu halten.«
Damit schulterte er seinen Beutel und verschwand. Auch Bertrada kam aus dem Zimmer und griff nach ihrem Umhang.
»Mutter und Tochter schlafen jetzt. Sollte es noch einmal zu Blutungen kommen, dann solltest du direkt nach deinem Freund schicken, er scheint das richtige Mittel zu kennen.« Ein müdes Lächeln glitt über ihr Gesicht. »Und wenn du
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