Holunderliebe
Wahrheit!« Irmela redete sich immer mehr in Fahrt.
»Und was ist mit all den Kräutern, die den Frauen von jeher helfen? Dann müssten die ja alle ebenfalls unbekannt sein, ein Geheimwissen, das die Heilkundigen nur unter der Hand weitergeben. Wenn ich recht informiert bin, dann sind Melisse, Schafgarbe, Frauenmantel, Johanniskraut, Storchschnabel, Mutterkraut oder Hirtentäschel nicht gerade eine geheime Sache. Im Gegenteil – Frauenmantel und Mutterkraut zeigen ja schon mit ihrem Namen, wozu sie gut sind!« Hanna schüttelte den Kopf. »Und dieser Hortulus, an dem wir jetzt monatelang geschraubt haben, wurde von einem Mönch niedergeschrieben, der damit doch gerade erreichen wollte, dass sein Wissen über die Schreibstuben der Mönche hinauswirkt. Du solltest also nicht generell alles verdammen, was von der Kirche kommt.«
»Und doch glaube ich, dass ich recht habe«, sagte Irmela. »Kommt einer von euch mit zu dieser Hebamme, damit wir sie befragen können?«
Eine Weile lang war es still in der Küche. Nur die Atemzüge des schlafenden Säuglings waren zu hören. Dann stand Hanna seufzend auf. »Wenn du meinst. Ehrlich gesagt komme ich aber nur mit, damit sich Christine nicht allein mit deinen Angriffen auseinandersetzen muss. Du hast ja keine Ahnung, wie unmöglich du sein kannst …«
»Ich passe in der Zwischenzeit auf Lena auf«, erbot sich Christian. Aber seine Frau hörte ihn schon nicht mehr. Sie war schon aus dem Zimmer gerannt. Hanna sah ihr nach, zuckte mit den Achseln und folgte ihr.
Die Fahrt über die Insel dauerte nur wenige Minuten. Die Hebamme lebte etwas abseits in einem alten Häuschen, das sich unter einer alten Buche duckte. Irmela und Hanna wechselten kein Wort auf dem Weg – und kaum waren sie angekommen, stürmte Irmela schon zur Tür und klopfte kräftig dagegen. Als Christine öffnete, sah sie ihren Überraschungsbesuch fragend an.
»Was ist passiert? Kann ich helfen? Gab es irgendwelche Blutungen? Ist etwas mit dem Baby?« Sie sah ihre Gäste genauer an. »Wo ist die Kleine überhaupt?«
»Sie ist wunderbar aufgehoben bei ihrem Vater«, erklärte Irmela. »Aber ich habe noch ein paar Fragen. Dürfen wir reinkommen?«
Verwirrt öffnete Christine die Tür etwas weiter. »Sicher, aber ich verstehe nicht ganz …«
Hanna versuchte ein entschuldigendes Lächeln, während sie in die kleine Küche gingen. »Irmela lässt eine Frage nicht mehr los, deshalb wollte sie vor ihrer Abreise unbedingt noch einmal vorbeikommen …«
»Ich muss einfach wissen, was du mir da eingeflößt hast, als ich mit Lena in den Wehen lag«, fiel Irmela ihr ins Wort. »Mein Verdacht ist, dass wir da einem Geheimnis auf der Spur sind.«
Christine lächelte begütigend und hob die Hand. »Richtig. Das ist ein Geheimnis. Und schon als Kind lernt man, dass sich ein Geheimnis dadurch auszeichnet, dass man es nicht erzählt. Und genau so will ich es auch halten.«
»Aber du kannst mir doch nicht einfach eine völlig unbekannte Substanz geben und mich nicht einmal aufklären, was das ist!« Irmela funkelte die Hebamme wütend an.
»Kann ich schon. Es hat gewirkt, du hast problemlos dein Kind bekommen, ich habe meine Aufgabe erfüllt. Warum hast du es denn so wichtig damit?«
»Ich habe den Verdacht, dass es sich um eine bisher unbekannte Pflanze handelt, die der Mönch Walahfrid als Ambrosia beschrieben hat«, erklärte Irmela. »Es wäre eine wissenschaftliche Sensation, wenn wir endlich zweifelsfrei einordnen könnten, was er gemeint hat.«
»Das mag sein«, erklärte Christine. »Aber ehrlich gesagt, ist mir deine Wissenschaft herzlich egal. Was habe ich davon, wenn du dein Buch mit einer neuen Erkenntnis schmücken kannst? Nichts. Und deswegen lasse ich es.«
»Du leugnest nicht einmal, dass ich recht habe?«
Ein Schulterzucken war die Antwort. »Es kann auch sein, dass es sich nur um eine bisher unbekannte Art des Frauenmantels handelt. Du kannst vermutlich kaum ein Salbeiblatt von einer Verbene unterscheiden. Menschen wie du, die immer nur in Büchern nach der Wahrheit suchen, haben doch keinen Blick für das echte Leben.« Sie deutete auf die Tür. »Und wenn du keinen Rat in Sachen Kinderpflege von mir brauchst oder etwas über deinen Körper wissen möchtest, dann muss ich dich bitten, mein Haus wieder zu verlassen. Ich habe dir nichts zu sagen.«
Hanna griff Irmela an der Hand und zog sie nach draußen. »Jetzt komm schon. Sie wird dir nichts verraten.«
Wenig später stand Irmela mit
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