Holunderliebe
dann nimm doch bitte den Rechen, und mache aus diesem Acker ein möglichst ebenes Feld.«
Als Irmela auch anfing zu lachen, löste sich die Spannung, die über ihnen gelegen hatte. Die Zeit verging wie im Flug, bis sie ihre Rechen und Pflanzstäbe zur Seite legten, weil sie in der Dämmerung nichts mehr sehen konnten.
»Abendessen in unserer Küche?«, schlug Hanna vor. »Dabei könnten wir gleich besprechen, was wir genau auf diese Schautafel schreiben. Wenn wir das nicht ordentlich beschriften, dann sammeln die Besucher in unserem Hortulus nur die Zutaten für ihr Abendessen …«
»Was zumindest bei den Schwertlilien für einen spannenden Speiseplan sorgen würde«, bemerkte Christian trocken.
Es wurde spät, bis alle im Bett lagen. Irmela und Christian schliefen im Gästezimmer der Lindes, die in einem großen, alten Haus wohnten. Das Dachfenster sorgte dafür, dass der volle Mond durch das Fenster schien, während die beiden sich langsam auszogen.
»Ich werde das hier vermissen«, sagte Christian. »Diese Arbeit mit den Pflanzen, die Luft, die Sonne … Dagegen führen wir in den Bibliotheken wirklich nur eine moderne Form der Käfighaltung, oder?«
»Auf die Dauer verblödet man aber leider dabei«, erklärte Irmela mit einem schroffen Unterton. »Und ich kann auch nicht sehen, was ich an Sonnenbrand auf der Nase oder an Blasen und Schwielen an der Hand gut finden soll. Am meisten Spaß hat mir die Vorarbeit dieses Projekts gemacht. Als wir noch forschen konnten, wie es hier ausgesehen hat.«
»Du bist ungerecht«, wies Christian sie zurecht. »Als ob man bei Hanna und Peter davon sprechen könnte, dass sie mit ihren Kräutern verblöden. Im Gegenteil: Sie suchen nach immer neuen Pflanzen, forschen in alten Büchern nach ihrer Wirksamkeit und versuchen Anwendungen für die Menschen zu finden. Für mich sind sie so etwas wie praktische Forscher.«
»Es sind Gärtner«, murmelte Irmela, während sie unter die Bettdecke kroch und sich mit einiger Mühe auf die Seite bettete. »Intelligente Gärtner, die sich gerne Gedanken über ihr Geschäft machen, keine Frage. Aber mit Wissenschaft hat das doch wirklich nichts zu tun.« Sie schwieg einen Augenblick, bevor sie fortfuhr: »Du beneidest die beiden wirklich, oder? Hast du unseren Traum vom gemeinsamen Forschen vergessen? Wie wir beide als Professoren die Geschichtswissenschaftler in Unruhe versetzen? Willst du das nicht mehr?«
Christian kletterte zu ihr ins Bett und nahm sie in den Arm. »Keine Sorge, ich lasse dich mit deinen Kollegen aus der Wissenschaft nicht alleine. Du darfst zurück in deine Wohnung in der Stadt und deinen Basilikum auf dem Fensterbrett pflegen.«
»Dann ist ja gut«, murmelte Irmela verschlafen. Wenig später wurden ihre Atemzüge tief und gleichmäßig, während Christian immer noch in die Dunkelheit starrte und sah, wie die Schatten im Licht des Vollmondes langsam über die Wand wanderten. Er wollte seine Frau beruhigen, wenn er weiter von einer Zukunft an der Uni sprach. Aber hier, bei der Arbeit mit der Erde und den Pflanzen, hatte er erstmalig das Gefühl, das einzig Richtige zu tun. Wenn er seine Hände in den Beeten hatte, fühlte es sich an, als sei er geerdet – als ob dieses Wort genau deswegen entstanden war. Aber wie sollte er das seiner ehrgeizigen Frau erzählen, die sich mit Leib und Seele der Wissenschaft verschrieben hatte? Vor allem, da er doch jahrelang wie sie gedacht hatte – und erst hier, bei diesem Projekt, entdeckt hatte, dass es auch noch andere Lebensinhalte als staubige Bibliotheken geben konnte? Er seufzte. Nein, bei Irmela konnte er da kaum auf Verständnis hoffen. Ganz allmählich spürte er, wie seine Lider schwerer wurden und sich allmählich der Schlaf über ihn senkte.
»Verdammt, was ist denn das?«
Christian fuhr auf und sah Irmela an, die entsetzt ihre Bettdecke hob und auf eine große Lache zeigte. »Ich glaube, es geht wirklich los!«
»Ich hoffe, die Lindes haben dir einen Matratzenschoner unter das Laken gemacht. Sonst brauchen sie jetzt eine neue«, meinte Christian grinsend.
Irmela hielt sich stöhnend den Bauch.
»Keine Übungswehen mehr?«
Irmela schüttelte den Kopf. »Ich habe ja keine Erfahrung mit so etwas – aber wenn das hier Übungswehen sind, dann müsste man spätestens bei der Geburt sterben …«
Christian sah auf die Uhr, als die Wehe allmählich wieder abebbte. »Sollte man nicht messen, wie viele Minuten zwischen den Wehen vergehen?«
Irmela nickte,
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