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Holunderliebe

Holunderliebe

Titel: Holunderliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Tempel
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wohl die erste Gartenkunde des Mittelalters verfasst hatte.
    Schließlich landete ich bei dem Satz: »Es gibt nur zwei komplett erhaltene Versionen des ›Hortulus‹, einzelne Strophen gelten als verloren.«
    Langsam hob ich meinen Blick und starrte in die Nacht hinaus. Ich ahnte, wo sich der komplette »Hortulus« befand: bei Brunhilde Reich in der Werkbank, eingeschlagen in ein blau-weiß kariertes Küchentuch. Wenn es das war, was ich vermutete, dann handelte es sich um eine Sensation.
    Als ich mich endlich ins Bett legte, konnte ich vor Aufregung lange nicht einschlafen. Und mein Entschluss stand fest: Ich musste auf diese Bodenseeinsel fahren, auf die Reichenau. Nur dort, wo dieses Gedicht seinen Ursprung hatte, würde ich herausfinden, was es damit auf sich hatte.

3.
    A uf die Reichenau? Was willst du denn da? Findest du denn nicht in jeder Bibliothek mehr zu deinem Gedicht und deinem Mönch als ausgerechnet auf dieser Insel? Wenn ich mich recht erinnere, dann ist nicht einmal das Kloster erhalten, du kannst also nur zwischen ein paar alten Mauern herumrennen. Das hilft dir doch nicht weiter!«
    Meine Mutter sah mich aufgebracht an. Dabei wollte ich nicht in ein Dorf voller Menschenfresser in der Südsee fahren, sondern auf eine touristisch erschlossene Insel im Bodensee. Etwa zwei oder drei Stunden mit dem Auto entfernt.
    »Mama, ich habe einfach das Gefühl, dass ich dort mehr über dieses Gedicht erfahre. Im Internet habe ich gelesen, dass es eines der entscheidenden Werke über den Anbau von Kräutern ist. Dann muss man sich doch einfach den Ort ansehen, wo es entstanden ist!«
    Mir kam meine eigene Argumentation windig vor. Natürlich hatte meine Mutter recht. Es gab keinen einzigen vernünftigen Grund, dorthin zu fahren, zumal ich ja eigentlich wegen meiner Seminararbeit unter ziemlichem Zeitdruck stand. Und doch hatte ich das unbestimmte Gefühl, auf die Reichenau fahren zu müssen.
    Meine Mutter schüttelte den Kopf. »Du wirst nichts entdecken, was du nicht auch in einem Bildband über die Reichenau sehen würdest. Von diesem alten Kloster wurde wahrscheinlich schon jeder Stein fotografiert. Nicht einmal die Bibliothek ist mehr in diesen Räumen zu finden.«
    »Woher weißt du das?« Ich wurde neugierig. Sicher, meine Mutter ist eine belesene Frau. Trotzdem war es unwahrscheinlich, dass sie dieses Wissen einfach so parat hatte.
    Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Aus einem Artikel in einer Frauenzeitschrift, glaube ich. Auf jeden Fall war die Journalistin ganz schön enttäuscht, dass die Bibliothek der Klosterinsel längst ausgelagert war. Ehrlich gesagt, viel wichtiger wäre doch, dass du dein Hauptproblem gelöst kriegst: Wie willst du erklären, warum du ein altes Buch aufgeschnitten hast?«
    Treffer. Ich ignorierte ihren Einwand und verlegte mich aufs Bitten. »Komm, Mama. Wenn du mir dein Auto leihst, bin ich morgen Vormittag am Bodensee. Wahrscheinlich hast du ja recht, und ich reise spätestens übermorgen wieder ab, weil es nichts zu sehen gibt. Aber in diesem Augenblick habe ich das Gefühl, etwas zu versäumen, wenn ich nicht dorthin fahre.«
    »Ich habe wirklich keine Ahnung, was du dir davon versprichst. Aber wenn du das Gefühl hast, du verpasst etwas bei deinen Forschungen, wenn du nicht auf dieser Insel herumrennst – dann nimm mein Auto.« Sie sah mir in die Augen. »Aber du versprichst mir, dass du wirklich auf dich aufpasst?«
    »Es ist nur der Bodensee, Mama.« Ich erhob mich. »Jetzt gehe ich erst einmal zu deiner Freundin. Sie muss wissen, dass sie wahrscheinlich ein extrem wertvolles Original in ihrer Werkstatt hat. Wenn es stimmt, was ich gestern gelesen habe, dann wird sich die Wissenschaft auf unseren Fund stürzen.«
    Mein Vater, der sich bisher im Hintergrund gehalten und gemütlich in seinem schwarzen Tee gerührt hatte, meldete sich erst jetzt zu Wort. »Wann willst du denn die Katze aus dem Sack lassen? Dein Fund täuscht ja nicht darüber hinweg, dass du dieses Buch nicht hättest haben dürfen. Es wird der Augenblick kommen, an dem du bei irgendjemandem zur Beichte antreten musst.«
    Betreten sah ich auf den Fußboden. »Na ja, ich habe mir gedacht, wenn ich etwas herausfinde, was meine Entdeckung wissenschaftlich noch interessanter macht, dann überwiegt vielleicht die Begeisterung über den Fund, und man behandelt mich mit etwas mehr Milde. Und wenn ich persönlich mit meinem Professor spreche, dann könnte es doch sein …«
    »Wie wäre es denn,

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