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Holunderliebe

Holunderliebe

Titel: Holunderliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Tempel
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Schrift – über diese Art des Schreibens gab es keinen Zweifel. Karolingische Minuskel in ihrer reinsten Form, die Vorform der modernen Druckschrift. Mit ihrer Einführung wurden damals Texte für jedermann lesbar. Das heißt, für jedermann, der lesen konnte. Und das waren wenige genug.
    Ich neigte mich über die alte Schrift und fing an, die ersten Zeilen zu entziffern. Sie waren in klassischem Latein abgefasst.
    Vorzug des ruhigen Lebens … Ein Gedicht? Ich versuchte ein paar Zeilen weiterzulesen. Über verschiedene Böden und ihre Früchte? Das konnte doch kaum sein. Gab es ein Gedicht, bei dem es ausschließlich um Böden ging?
    Wieder strich ich mit den Fingerspitzen vorsichtig über die alten Buchstaben. Fast schien es mir, als ob mir Stimmen ins Ohr wisperten.
    »Wie bitte?« Ich sah die Buchbinderin an. »Haben Sie etwas gesagt?«
    »Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich warte auf deine Einschätzung. Könnte es so alt sein, wie ich glaube?«
    Langsam nickte ich. »Von der Schrift her könnte das sein. Und wenn ich es richtig verstehe, dann ist es ein Gedicht. Es geht um das Erdreich und den Anbau von Früchten oder Pflanzen. Ich müsste nachsehen, ob es überhaupt so etwas gab. Irgendwie glaube ich nicht, dass diese Menschen damals über etwas so Banales geschrieben haben. Da ging es doch immer nur um Gott, Kriege, Gebete und Könige. Aber ich kann mich auch täuschen, ich bin ja nur eine Studentin …«
    Aus meiner Tasche zog ich mein Smartphone. Sorgfältig zoomte ich verschiedene Ausschnitte der Handschrift heran und fotografierte sie. »Ich muss das übersetzen und dann ein bisschen im Internet herumsuchen, ob es so etwas gab.« Ich runzelte die Stirn, um ein Wissen hervorzulocken, das in irgendeiner vergessenen Hirnwindung schlummerte. Dann gab ich auf. Auf Anhieb zumindest wollte mir nichts Passendes einfallen. »Irgendwie habe ich da mal was gelesen. Aber ich kriege die Zusammenhänge einfach nicht hin … Merkwürdig, eigentlich kann ich mir alles merken, wenn es um Garten und Anbau geht.«
    Die Buchbinderin sah mir neugierig zu. »Dann forsche doch ein wenig nach. Wenn du etwas herausfindest, kommst du wieder vorbei. Was denkst du, kannst du morgen mehr sagen?«
    Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es schon nach acht war. »Keine Ahnung. Meine Eltern werden erst einmal mit mir reden wollen, hoffentlich komme ich heute Nacht noch dazu, ein wenig zu recherchieren. Auf jeden Fall melde ich mich morgen, sobald ich mehr weiß. Leider ist mein Latein nicht das beste …«
    Ein Lächeln breitete sich auf dem Gesicht der Buchbinderin aus. »Das kann ich kaum glauben. Immerhin konntest du sofort sagen, dass es in diesem Text um Böden oder den Anbau von Früchten geht. Das finde ich vielversprechend.«
    »Sie verraten doch niemandem von diesem Buch, bis ich herausgefunden habe, worum es dabei wirklich geht?« Bittend sah ich sie an.
    Ein paar Lachfältchen vertieften sich um ihre Augen. »Keine Sorge. Ich finde das selber viel zu aufregend, als dass ich es einfach aus der Hand geben würde. Das Restaurieren von Büchern ist nur selten spannend. Ich bin mir sicher, diese Chance habe ich nur einmal in meinem Leben. Hauptsache, du verrätst mir, was du entdeckst!«
    »Versprochen! Wahrscheinlich melde ich mich schon morgen Vormittag.«
    Damit trat ich wieder auf die enge Gasse mit dem Kopfsteinpflaster und machte mich auf zu meinem Elternhaus, das nur wenige Hundert Meter entfernt lag.
    Meine Mutter öffnete, umarmte mich und ging dann voraus in die Küche, wo mein Vater wie immer über eine Zeitung gebeugt am Tisch saß und erfreut aufblickte, als ich eintrat. Ich warf meine Tasche auf einen freien Stuhl, schenkte mir einen Tee ein und setzte mich dann zu ihnen.
    Meine Mutter kam ohne Umschweife zur Sache. »Was hat Bruni denn da Geheimnisvolles gefunden? Ich konnte ihr einfach nichts entlocken.«
    Fast hätte ich ihr alles erzählt. Aber dann machte ich nur eine wegwerfende Handbewegung. »Nichts Besonderes. Sie vermutet ein verborgenes Manuskript unter der Schrift des Buches. Jetzt geht es darum, diese ältere Schrift ordentlich zu datieren, damit wir da nichts durcheinanderbringen. Ist gar nicht so selten in diesen mittelalterlichen Schriften.«
    Ich wollte die beiden nicht unnötig aufregen. Sie hatten schon immer die Neigung, an allen möglichen und unmöglichen Orten Gefahren für mich zu wittern, die sie mir dann nach Kräften aus dem Weg räumten, was mir oft unangenehm oder sogar

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