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Holunderliebe

Holunderliebe

Titel: Holunderliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Tempel
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einige Male gesehen, wenn er seinen Fang des Tages ans Kloster verkaufte. Er war größer als Thegan, hatte rotblonde Haare und einen ebensolchen Bart, dazu breite Schultern, die ihm jede Art von Arbeit leicht machten. Zu den ledernen Beinkleidern trug er einen ledernen Überwurf über dem wollenen Wams. Seine schwieligen Hände richteten die Seile in seinem Boot, während die zierliche junge Frau ihm schweigend die Dinge reichte, die er benötigte. Ob sie seine weitaus jüngere Frau war? Gut möglich, denn die meisten Männer heirateten mehrmals, wenn ihnen die Frauen durchs Kindbett oder Krankheiten dahingerafft wurden. So sicherten sie sich ein sauberes Heim und ein warmes Essen. Trotzdem – diese Frau trug so viel Anmut in sich, dass Thegan fast so etwas wie Eifersucht verspürte.
    Endlich war der Fischer fertig mit seinen Vorbereitungen. Die Frau reichte ihm die Laterne, die die ganze Zeit neben ihr gestanden hatte, und warf ihm ein Lächeln zu, das für Thegan fast die Nacht erhellte. »Viel Erfolg da draußen«, hörte er ihre Stimme, die so klang, als würde sie beim Reden lächeln. »Pass auf, dass die Geister des Sees dich nicht erwischen, Vater. Mir kommt es heute Nacht so vor, als hätte der See Augen.« Sie sah hinaus auf die Wasseroberfläche. »Spürst du es nicht? Es scheint mir fast, als würden wir beobachtet!«
    Ihr Vater hob für einen Augenblick die Augen und sah ebenfalls hinaus. Dann schüttelte er den Kopf. »Da ist nichts, du musst dir keine Gedanken machen. Und das mit den Seegeistern sind auch nur Geschichten, mit denen wir unseren Kindern Angst machen.«
    Sie nickte und versetzte dem Boot einen kräftigen Stoß. Dann wandte sie sich ab und verschwand im Dunkel der Nacht. Das Boot ruderte an Thegan vorbei, und ihm wurde mit einem Mal bewusst, dass er seine Füße und Hände in dem kalten Wasser kaum noch spüren konnte. Er musste sich so schnell wie möglich wieder in trockene und vor allem warme Gewänder hüllen – sonst würde er niemals erfahren, wer dieses Mädchen mit den anmutigen Bewegungen war.
    So schnell es ihm möglich war, schwamm er wieder zurück, kletterte an das Ufer und trocknete sich mit seinen Beinkleidern ab. Die Zähne in seinem Mund schlugen aufeinander, aber er fühlte sich so lebendig wie schon lange nicht mehr in seinem Leben. Seine Haut prickelte, aber dieses Mal fühlte es sich lebendig und erfrischend an – nicht lähmend und schmerzhaft.
    Fast fühlte er sich beschwingt, als er den Weg zurück ins Kloster suchte und die erste Morgendämmerung wahrnahm. Die Vögel fingen an, mit aller Kraft den beginnenden Tag herbeizurufen, und Thegan wusste, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis die Glocke die Mönche zur Laudes und zum Gesang vor dem Tagwerk rief.
    Am kleinen Hafen wandte Hemma sich noch einmal um und warf einen letzten Blick aufs Wasser hinaus. Sie war tatsächlich viel zu alt, um noch an Geister zu glauben – und doch hatte sie das Gefühl, dass sie jemand beobachtet hatte. So als hätte der See selber plötzlich Augen bekommen. Eine Weile noch blickte sie auf das Wasser, das träge an die Holzpfosten schwappte. Dann zuckte sie die Schultern und ging zurück in das Haus, das sie gemeinsam mit ihrem Vater bewohnte. Es gab ausreichend zu tun, bis er von seinem heutigen Fischzug zurückkehrte.
    Doch noch bevor sie an der Tür anlangte, legte sich ein Arm um ihre Schultern, und eine fröhliche Stimme erklang direkt an ihrem Ohr: »Was ist los, Hemma? Hast du Geister gesehen? Oder warum läufst du im schönsten Frühling mit einem Gesicht wie zehn Tage Regenwetter herum?«
    Lachend drehte Hemma sich um und schloss ihre Freundin Rothild in die Arme. »Unsinn, ich bin heute wohl nur mit dem falschen Fuß aufgestanden. Wie geht es dir? Was machen Reginolf und der Kleine?«
    Auch wenn Rothild ebenso viele Lenze zählte wie Hemma, so war sie doch schon seit drei Jahren mit dem Schreiner Reginolf verheiratet und hatte bereits ein Kind. Die beiden jungen Frauen waren seit ihrer Kindheit befreundet.
    »Reginolf? Dem geht es doch immer gut. Und seit der Kleine laufen kann, fürchtet er nicht mehr täglich um sein Leben. Dabei habe ich schon seit seiner Geburt gesagt, dass Winidolf stark genug ist, um das erste Jahr zu überstehen. Reginolf ist zu ängstlich. Deswegen habe ich ihm auch noch nichts von meinem Verdacht erzählt …«
    »Was denn?« Hemma sah ihre Freundin neugierig an, dann lachte sie auf und stieß Rothild in die Seite. »Nein! Ist es

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