Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Holunderliebe

Holunderliebe

Titel: Holunderliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Tempel
Vom Netzwerk:
fremdartigen Gemüse- und Obstsorten in Barcelona. Da der Bote des gestrigen Abends offenbar schon aufgebrochen war oder aber vom Aufstehen im Morgengrauen wenig hielt, drängte ihm niemand ein Gespräch auf. So fingen seine Gedanken wieder an zu wandern.
    Er konnte nicht für immer hinter den schützenden Mauern dieses Klosters bleiben. Irgendwann musste er sich wieder dem wahren Leben stellen. Der Müßiggang und die Kontemplation, denen er sich bereits seit seiner Ankunft hingab, taten seinem Seelenfrieden auch nicht gut. Sobald er sich auch nur ein wenig Ruhe gönnte, wanderten seine Gedanken unweigerlich zurück zu den Kämpfen gegen die Mauren.
    Vielleicht hatte dieser Walahfrid ja doch recht, als er ihm die Mitarbeit im Gärtchen angeboten hatte. Womöglich würde die Beschäftigung seiner Hände dafür sorgen, dass sein Geist ein wenig Frieden fand. Er beschloss, den jungen Mönch später aufzusuchen. Mit ein wenig leichter Arbeit konnte er vielleicht auch seinen Körper wieder an Belastung und Bewegung gewöhnen – denn zu seiner Überraschung hatte das Bad im kalten Wasser des Sees ihm richtig gutgetan. Die Schmerzen und das brennende Jucken in seiner Seite waren zumindest für den Augenblick verschwunden.
    Thegan schob die Schüssel mit dem Brei von sich, stand auf und machte sich auf den Weg zum Gärtchen des Walahfrid. Dabei versuchte er, die vielen Baustellen im Kloster zu umgehen. Der Abt setzte seinen ganzen Ehrgeiz darein, das Klostergebäude nicht nur instand zu halten, sondern ständig zu erneuern. Schließlich hatte es als Königskloster und eine der wichtigsten Stätten der Bildung und der Bücher in letzter Zeit immer mehr an Bedeutung gewonnen. Thegan kam es so vor, als wollte der Abt jede Mauer des Klosters verändern. Gerade sollte einer der Gänge verschoben werden, und sogar die Mönche mussten für einige Zeit ihre Schlafsäle verlassen, um dann in neuen Unterkünften zu schlafen. Die Ruhe und Kontemplation der Sintlasau wurde dadurch sicher nicht gefördert, aber das Kloster erstrahlte im Glanz des frisch Erbauten.
    Thegan hatte Glück. Schon aus einiger Entfernung konnte er den niedrigen Zaun erkennen – und dahinter den gebückten Rücken des Mönches, der offensichtlich gerade damit beschäftigt war, in einem seiner Beete mit einer kleinen Hacke die Brennnesseln zu entfernen.
    »Sei gegrüßt!«
    Walahfrid fuhr auf, erkannte dann den Gast und wischte sich lächelnd den Schweiß von der Stirn. »Schade, dass ich für Brennnesseln keine Verwendung in meinem Gärtchen habe. Sie anzubauen wäre mir ein Leichtes – und nebenbei könnte ich auch noch unsere gesamte Bibliothek kopieren. Aber ich will nicht jammern. Ich habe mir diese Arbeit ausgewählt, also sollte ich sie singend verrichten und meinen Herrn loben.«
    Thegan musterte sein Gegenüber genauer. Täuschte er sich, oder schaute dem jungen Mann der Schalk aus den Augen?
    Walahfrid gähnte und streckte sich. »Andererseits habe ich an diesem Morgen bereits mehrere Stunden mit dem Lob meines Herrn verbracht, ich denke, ich kann jetzt eine Zeit lang still meine Arbeit verrichten.« Er musterte seinen Besucher. »Aber du bist sicher nicht gekommen, um dich mit mir über die Brennnesseln zu unterhalten. Was kann ich für dich tun? Hast du wieder Schmerzen?«
    »Nein«, erklärte Thegan. »Tatsächlich war ich im See schwimmen, und zu meiner Überraschung haben die Schmerzen und das Gefühl der tausend krabbelnden Ameisen seither nachgelassen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das von Dauer ist, aber ich bin dankbar um jeden Moment, an dem ich nicht das Gefühl habe, bei den Mauren gefoltert zu werden.«
    »Interessant«, murmelte der Mönch und rieb sich nachdenklich das Kinn. »Kaltes Wasser als Heilmittel, davon habe ich bereits in den Aufzeichnungen der alten Griechen gelesen. Antonius Musa soll Kaiser Augustus einst mit kalten Güssen geheilt haben. Vielleicht sollte ich diesen Erkenntnissen ein wenig mehr Aufmerksamkeit schenken, als ich es bisher getan habe. Oder du solltest dem Infirmarius davon erzählen. Womöglich würde er seine Patienten dann seltener zur Ader lassen und häufiger waschen, wer weiß. So wäre auch das Zusammenleben mit den Brüdern, die nur zu Weihnachten und Ostern baden, weitaus angenehmer.« Er betrachtete seine leeren Beete. »Aber für den heutigen Tag werde ich mich damit bescheiden, weiter an meinem Gärtchen zu arbeiten. Allein eine Frage drängt mich: Wie kommt es, dass du schwimmen

Weitere Kostenlose Bücher