Holunderliebe
und du nur noch abwartest, bis sich die Tore des Paradieses öffnen?« Sie wirkte ernstlich besorgt.
Abwehrend hob er die Hände. »Nein, das ist es nicht. Ich muss in diesen Tagen nur Geduld aufbringen, bis ich wieder ganz hergestellt bin. Und was das Paradies betrifft, so bin ich mir nicht so sicher, ob ich dafür vorgesehen bin. Krieger ist kein sehr gottgefälliger Beruf, denke ich.«
»Du hast gegen Ungläubige gekämpft, das kann unserem Herrn nur recht sein!«, sagte Hemma. »Im Gegenteil: Jeder Maure, den du totgeschlagen hast, sollte dir einige Jahre im Fegefeuer ersparen.«
Für einen winzigen Augenblick tauchte das Gesicht des maurischen Arztes vor Thegans innerem Auge auf. Dann sah er wieder Hemma, die offensichtlich auf eine Antwort wartete.
Er seufzte. »Und doch kann ich mich des Gefühls nicht erwehren, dass das alles nicht so einfach ist. Auch die Mauren sind Menschen mit Gefühlen, sie glauben an einen Gott, sie empfinden Schmerzen und Liebe … Es sind Menschen wie wir, Hemma. Warum sollte es gut sein, auch nur einen einzigen von ihnen zu töten?«
»Weil sie drohen, unser Land zu überrennen und uns die Köpfe abzuschlagen. Dein Mitgefühl mit ihnen scheint mir nicht wirklich angemessen!«
»Wer hat dir das erzählt?«, wollte er wissen.
»Das muss mir keiner erzählen! Sie sind in Spanien, und das ist nicht ihr angestammtes Land. Das erscheint mir Beweis genug für ihre unfreundliche Haltung uns Christen gegenüber.« Sie wirkte ernsthaft aufgebracht.
Thegan musterte sie belustigt. »Für eine Frau machst du dir wirklich erstaunlich viele Gedanken! Ich habe nicht geahnt, dass das weibliche Geschlecht dazu fähig ist.«
»Das ist eine Frechheit!«, rief Hemma aus. »Frauen waren schon Königinnen von großen Reichen, sie können durchaus Männer führen. Meistens wollt ihr Männer uns nur nicht nach unserer Meinung fragen. Wahrscheinlich weil ihr fürchtet, dass wir recht haben könnten!«
»Frauen sind von Gott dazu bestimmt, das zu tun, was die Männer ihnen sagen. Hast du es denn nicht gehört, wenn du in der Kirche warst? Das Weib schweige in der Gemeinde!«
»Das mag sein. Das heißt aber nicht, dass wir in der Familie schweigen sollen. Im Gegenteil: In der Familie sind wir Frauen die Herrscherinnen!« Sie sah ihn herausfordernd an.
Einen Augenblick lang wollte Thegan ihr widersprechen, dann sah er plötzlich das Glitzern in ihren Augen. Er brach in Gelächter aus. »Hemma, hast du mich nur an diesen Ort geführt, damit du mich verlachen und mir merkwürdige Dinge über Mann und Frau erzählen kannst? Dann sollte ich vielleicht doch lieber schreiend den Hügel hinunterlaufen und mich vor dir verstecken.« Er sah sich um. Die Sonne stand jetzt nur noch knapp über dem Horizont und tauchte alles in goldenes Licht. Für einen winzigen Moment kam es ihm so vor, als wäre er in einem Traum, in dem die Regeln des täglichen Lebens keine Bedeutung mehr hatten.
Dann riss ihn ein scherzhafter Hieb in die Seite aus seinen Träumen. Mit einem Aufschrei ging er in die Knie und hielt seine Hände über die Narbe. Tränen liefen über sein Gesicht, während er mühsam nach Atem rang.
»Das wollte ich nicht, bitte entschuldige!«, rief Hemma. Sie hatte sich neben ihm ins Gras gekniet und hielt vor Schreck die Hände vor den Mund. »Ich wollte doch nur … Es sollte ein Scherz sein, weil du doch weglaufen wolltest. Ich habe gedacht, wir würden miteinander lachen, wenn dich jetzt auch noch eine Frau schlägt … Ich habe gar nicht gedacht … Es tut mir so leid!«
»Du konntest doch nicht wissen, dass jede Berührung an dieser Seite schmerzhaft ist. Ich weiß, man kann nichts erkennen, wenn man mich bekleidet sieht – aber die Wahrheit ist, dass mich ein Kind in die Knie zwingen könnte.« Er wagte ein schiefes Lächeln. »Oder eben auch eine Frau mit kräftigen Armen, die mir zum Scherz einen kleinen Hieb verpassen will. Und das nur, weil ich angedroht habe, einfach aus ihrer Nähe zu fliehen! Du siehst: Im Moment bin ich ein Krieger, der recht wenig zu seinem Handwerk taugt.«
Hemma war immer noch entsetzt über das, was sie mit ihrem scherzhaften Hieb angerichtet hatte. Sie hob hilflos die Hand, um eine Träne aus seinem Gesicht zu wischen. Mit einer schnellen Bewegung fing Thegan die Hand ein und drückte sie an seine Wange. »Das ist jeden Schmerz wert«, murmelte er.
Hemma wehrte sich nicht gegen seinen Griff. Im Gegenteil. Sie hob die zweite Hand und berührte vorsichtig
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