Holunderliebe
Unsicherheiten, auf Dinge, die sich komisch anfühlen. Das ist jetzt nichts, was mich unglücklich macht, es ist nur so ein Gedanke …« Verlegen kaute ich auf meiner Unterlippe. »Als ich mich für ein Studienfach entscheiden musste, habe ich nicht lange nachgedacht. Es war Geschichte – um Antworten zu finden, auf die ich noch nicht einmal die Frage kannte. Klingt das irgendwie merkwürdig in deinen Ohren?«
»Nein. Es klingt wie ein guter Grund. Und was hast du seitdem gefunden? Nur weitere Fragen oder auch Antworten? Und wie kommt dabei unser Reichenau-Mönch ins Spiel?« Er sah mich mit offenem Blick an. Die Augen sind doch dunkelblau, dachte ich.
In diesem Augenblick klingelte ein Küchenwecker hinter ihm. Mit einer fahrigen Bewegung strich er seine Locken aus der Stirn. »Jetzt habe ich fast den Rhabarberstreusel vergessen. Ich hoffe, du magst Rhabarber? Mit Streusel und Vanillepudding?«
»Habe ich noch nie so gegessen, klingt aber unglaublich lecker! Rhabarberschorle ist sowieso eines meiner liebsten Getränke. Unschlagbar.«
Er nickte und machte sich wieder in seiner Küche zu schaffen, die nur durch offenes Fachwerk von seinem Wohnzimmer abgetrennt war. Neugierig sah ich mich um. Eindeutig das Zimmer eines Mannes – aber eines Mannes mit Geschmack. Ein Regal voller Bücher. Sehr viel Fachliteratur über Gärten und Pflanzen, wenn ich die Buchrücken von meinem Stuhl aus richtig las. Romane. Reiseführer. Kochbücher. Ein großer Flachbildfernseher zwischen zwei kleinen Fachwerkfenstern, davor eine Couch aus dunklem Flechtwerk mit vielen Kissen aus Leinen. Ein paar Stiche an der Wand, die wahrscheinlich schon länger dort hingen. Sie zeigten Blätter und Pflanzen und erinnerten mich daran, dass dieser Kräuterladen schon seit Generationen existierte.
Noch bevor ich weiter neugierig sein konnte, stellte Simon ein Schüsselchen ab, aus dem es verlockend nach Vanille, karamellisiertem Zucker und Rhabarber roch. Ich kostete einen Löffel und war begeistert. »Wenn du das in deinem Café anbietest, dann rennen dir die Leute den Laden ein, das schwöre ich.«
Er lachte. »Das mag sein. Aber wer will das schon? Ich bin völlig zufrieden mit der Arbeit, die ich im Moment habe. Ich will nicht mehr.«
»Reichtum? Ehre?« Ich sah ihn verblüfft an. »Nichts davon?«
Ein Kopfschütteln war die Antwort. »Beides ist mit Kräutern nur schwer zu erreichen. Außerdem ist das Leben zu kostbar, um es ausschließlich mit Arbeit zu verbringen. Nein, ich träume von etwas anderem.«
»Wovon denn?«
Ein Lächeln war die Antwort. »Eigentlich ist es gar nicht viel anders als bei dir. Fragen und Antworten. Eine ähnliche Richtung. Du hast allerdings immer noch nicht verraten, warum du mit deinem Mönch hier gelandet bist. Was erhoffst du dir auf unserer Insel?«
»Na ja, ich hatte das Gefühl, ich würde mehr über ihn erfahren, wenn ich sehe, wie er gelebt hat.« Verlegen spielte ich mit einer Haarsträhne herum. »Aber wenn ich mir heute Abend so zuhöre, denke ich vor allem, dass ich meinem Gefühl weniger folgen sollte als bisher. Eigentlich bin ich nämlich ein ziemlich handfester Mensch, der am liebsten in seinem Garten herumbuddelt. Das musst du mir glauben.«
»Tu ich doch«, erklärte er, während er mit Genuss den letzten Rest des Nachtischs aus seinem Schüsselchen löffelte.
»Und jetzt habe ich genug von mir geredet«, fuhr ich fort. »Wie sieht es mit dir aus? Hast du nie darüber nachgedacht, ob du mehr als nur den Bodensee erleben willst? Etwas anderes machen als den Laden deiner Eltern weiterführen? Etwas mehr Freiheit und Abenteuer?«
Er sah mich verblüfft an, als wäre ihm dieser Gedanke noch nie gekommen. »Nein.«
Jetzt war es an mir, überrascht zu sein. »Nein? Nie auch nur ein bisschen? Rebellion gegen die Eltern und so?«
»Tut mir leid, damit kann ich nicht dienen. Meine Eltern waren nette Menschen, die ihren Traumberuf ausgeübt haben und damit so zufrieden waren wie nur wenige Menschen auf der Welt. Ein einziges Mal waren sie neugierig auf mehr, doch das bedeutete auch schon das Ende ihres Lebens. Sie sind bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen.«
»Oh«, machte ich. Was soll man bei so einer Enthüllung auch sagen? »Das tut mir leid. Wie alt bist du gewesen?«
»Zu klein«, erklärte Simon und wirkte auf einen Schlag abweisend. »Ich war sieben. Eine Tante hat mich aufgezogen, drüben in Konstanz. Ich war froh, als ich auf die Insel und in mein Elternhaus zurückkehren
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