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Holunderliebe

Holunderliebe

Titel: Holunderliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Tempel
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genauer befassen will. Ich habe dabei kein gutes Gefühl …«
    »Aber er wehrt sich doch gegen die Vorherbestimmung«, wunderte Thegan sich. »Wie kann er da Augustinus’ Lehre gut finden?«
    »Nun ja.« Walahfrid seufzte. »Wenn man die Vorherbestimmung ganz wörtlich nimmt, dann ist es jedem Menschen schon vor der Geburt vorherbestimmt, ob er einst zu den Gerechten oder zu den Verdammten gehören wird. Wenn dem so ist, dann kann auch kein Gebet daran etwas ändern … Ahnst auch du, was Gottschalk denkt? Und womöglich auch verkünden wird? Ich fürchte um Leib und Seele meines Freundes!«
    Thegan sah Walahfrid überrascht an. »Erst jetzt? Das tue ich, seit ich ihn kennengelernt habe. Und glaube mir: Ich habe Gottschalk lieben gelernt wie meinen eigenen Bruder.«
    »Dann sollten wir für ihn beten«, schlug Walahfrid vor. »Denn Gottschalk werden wir sicher niemals zur Vernunft bekehren können. Er glaubt nur an die Macht einer einzigen Vernunft: seiner eigenen!«
    An diesem Tag beendeten die beiden Freunde ihren Tag schweigend im Gärtchen – jeder dachte an Gottschalk und hielt im Stillen Fürbitte für den aufsässigen Freund.

16.
    Er hat die lieblichen Lilien geweiht durch sein Wort
und sein Leben,
färbend im Tode die Rosen, hat Frieden und
Kampf seinen Jüngern auf dieser Erde gelassen, die Tugenden beider verbindend.
    D as Mädchen mit den dünnen Zöpfen und dem dreckigen Hemdchen sah Hemma drängend an. »Du sollst jetzt kommen, hat sie gesagt. Sie braucht dich!«
    »Kommt das Kind?«, fragte Hemma. »Ist denn die Hebamme nicht bei ihr?«
    »Das Kind will nicht kommen. Seit gestern nicht«, erklärte das Mädchen. »Sie sind alle aufgeregt. Und Rothild will dich sehen.«
    Hemma versuchte sich zu erinnern, wie lange sie ihre Freundin nicht mehr gesehen hatte. Vorgestern Abend hatten sie sich noch am Seeufer getroffen, Rothild hatte ihren schweren Leib mit beiden Händen umfasst und immer wieder erklärt, dass sie sich inzwischen trotz aller Ängste die Geburt herbeisehne. »Ich kann mich nicht mehr bewegen, meine Füße habe ich seit Wochen nicht mehr gesehen, und wenn das Kind nicht endlich kommt, dann platze ich!« Sie hatten beide gelacht und waren sich einig gewesen, dass die Natur in ihrer Weisheit es wohl so eingerichtet hatte, dass jede Mutter am Ende ihrer Schwangerschaft nur noch die Geburt herbeisehnte.
    »Seit wann?«, fragte sie drängend. »Seit wann liegt Rothild im Kindsbett?«
    Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »Sie haben mir nur gesagt, dass du kommen sollst.«
    Hemma griff nach ihrem Schultertuch und machte sich auf den Weg. Es war inzwischen Oktober geworden, die Abende waren oft schon kühl, und nasser Raureif netzte den Boden. Der Weg zu Rothilds Heim war nicht weit, die Häuser in der Klosterstadt lagen dicht beieinander.
    Sie spürte die Unruhe im Haus in der Sekunde, als sie durch die Tür trat. Reginolf saß am Tisch und hob kaum den Blick, als sie hereinkam. Der kleine Winidolf saß in einer Ecke auf dem Boden und sah sich mit großen, ängstlichen Augen um. Niemand achtete auf ihn. Aus der angrenzenden Kammer hörte Hemma ein Stöhnen. Ohne sich weiter um Reginolf und Winidolf zu kümmern, ging Hemma hinein.
    Rothild lag mit geschlossenen Augen auf dem Bett und atmete schwer. Ihr blasses Gesicht glänzte, und die Sommersprossen traten wie dunkle Flecken auf der blassen Haut hervor, ihre Haare klebten feucht an den Schläfen. Ihre Beine waren aufgestellt, zwischen ihnen lag ein blutiges Laken. Im Raum roch es nach Blut, Schweiß und Kräutern.
    Hemma kniete sich neben das Bett und nahm die Hand ihrer Freundin. Sie fühlte sich merkwürdig kühl und klamm an. »Rothild?«, flüsterte sie. »Kannst du mich hören?«
    Ihre Freundin öffnete mühsam die Augen, ihre Lider flatterten. »Du bist da? Das ist gut«, flüsterte sie. Ihre Lippen sahen blass aus und waren aufgesprungen oder zerbissen.
    »Warum hast du nicht früher nach mir gerufen?«, sagte Hemma. »Ich wusste doch nicht, wie es um dich steht!«
    »Ich wollte dich nicht beunruhigen. Es ist leichter, wenn man nicht weiß, was da auf einen zukommt …« Sie versuchte ein Lächeln. »Es will nicht kommen. Dieser kleine Bastard.«
    In dieser Sekunde begann wieder eine Wehe. Rothild schloss die Augen und stieß einen heiseren Schmerzensschrei aus, der Hemma durch Mark und Bein ging. Ihre Freundin spannte sich mit ihrer letzten verbliebenen Kraft an und drückte ihren Rücken durch. Die Hebamme kam herbei,

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