Holundermond
Verzweifelten warf er sich gegen den Historiker.
Doch der schien sein Vorhaben vorausgeahnt zu haben und machte einen Schritt zur Seite, sodass Jan ins Leere taumelte.
Als er sich wieder gefangen hatte, spürte er kaltes Metall an seinem Kopf. »Ich behalte Ihr Geheimnis auch für mich, ich schwöre es beim Leben meiner Tochter, niemand wird je auch nur ein Wort von mir erfahren!« Tränen schossen ihm in die Augen und er sank auf die Knie. Mit beiden Armen umklammerte er die Beine seines Feindes.
Holzer verzog keine Miene. »Das hätten Sie sich früher überlegen müssen, bevor Sie Ihrer Tochter einen Hinweis auf Ihren Aufenthaltsort im Kloster gegeben haben.« Mit einem Tritt stieß er Jan noch ein Stück tiefer in die Finsternis des fensterlosen Raumes. »So kurz vor meinem Ziel lasse ich mir von niemandem mehr ins Handwerk pfuschen. Und schon gar nicht von einem dahergelaufenen Deutschen und ein paar neugierigen Kindern!« Er drehte sich um und machte Anstalten, die Kammer zu verlassen.
Jan kroch hinter ihm her, wollte sich aufrappeln, ihm an die Kehle springen, aber sein Körper gehorchte ihm nicht. Der Schwindel in seinem Kopf nahm überhand, sein Schädel schien zu platzen. Mit einem lauten Stöhnen fasste er sich mit beiden Händen an die Stirn.
Holzer blieb in der offenen Tür stehen. »Hier kannst du dir die Seele aus dem Leib schreien, Wagner! Niemand wird dir helfen. So wie mir einst niemand geholfen hat,als der Mönch mir meinen Ringfinger nahm.« Er lachte. »Was du in der Kirche gesehen hast, sind ein paar Sterbende, halbtot schon, kaum noch fähig, klar zu denken. Keiner von denen wird dich hören. Und selbst wenn. Keiner von ihnen ist in der Lage, dich zu retten. Die verwesen da unten. So, wie auch du hier oben langsam verwesen wirst. Und bis sich endlich jemand des alten Klosters erbarmt und man die ehemalige Schatzkammer zumauert, wirst du längst verfault sein. Du hast also allen Grund zu schreien.«
Jan zog sich an der Wand hoch, stieß sich ab und stürzte sich auf Holzer. Doch er fiel abermals ins Leere. Als Holzer langsam die Tür hinter sich zuzog, kam er wieder auf die Beine und klammerte sich mit aller Kraft an die Klinke. Doch Holzer war stärker. Zentimeter um Zentimeter glitt die Tür zu und dann rutschten Jans Hände ab und er brach erschöpft auf dem Boden zusammen.
»Ich werde Ihrer Tochter schöne Grüße bestellen«, höhnte Holzer. Dann zog er die schwere Eichentür hinter sich zu und drehte den Schlüssel im Schloss um.
Mit dem Brüllen eines tödlich verwundeten Tieres warf Jan sich gegen die Tür und trommelte mit seinen Fäusten dagegen, bis das Blut ihm von den Knöcheln lief. Und dann schrie er. So, wie Holzer es prophezeit hatte. Er schrie in die Dunkelheit, schrie an gegen die geschlossene Tür, gegen die Wände und gegen die Zeit, die für ihn endgültig stehen geblieben war.
27
Nele rannte neben Flavio her durch die dunklen Gassen zur Mariahilfer Kirche.
»Wie um alles in der Welt willst du Holzer davon abhalten, das Schwert zu stehlen?« Sie rang keuchend nach Luft, aber Flavio machte keine Anstalten, sein Tempo zu verringern.
»Das weiß ich noch nicht. Das überlege ich mir, wenn wir da sind. Wichtig ist nur,
dass
wir es verhindern.«
»Aber warum? Warum ist das auf einmal so wichtig?«
Flavio blieb abrupt stehen. Er atmete stoßweise. »Es ist wichtig, weil ich glaube, zumindest einen Teil der Prophezeiung auf dem alten Pergament verstanden zu haben. Bitte frag jetzt nicht weiter, sonst kommen wir vielleicht zu spät. Ich erkläre es dir nachher, okay?«
Nele zuckte ergeben mit den Schultern und schluckte ihre Fragen hinunter. Eins hatte sie inzwischen gelernt:Wenn Flavio sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte nichts und niemand ihn aufhalten.
Endlich tauchte die Kirche mit den beiden Türmen vor ihnen auf und Flavio wurde langsamer. Als Nele die Tür sah, die zu der ehemaligen Gruft führte, musste sie an Theophil denken. Wenn er wirklich aus der Vergangenheit stammte, wann hatte er seine Zeit dann verlassen? Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf. Vielleicht war Theo, als er durch das Bild ging, noch gar kein Prior in Mauerbach. Das würde bedeuten, dass er in seine Zeit zurückkehren musste, sonst würde die Inschrift auf der Steintafel in der Eingangshalle des Klosters verblassen, so wie die Buchstaben auf dem Grabstein Holzers. Holzer. Schlagartig fiel ihr wieder ein, warum sie hier waren, und da standen sie auch schon vor dem großen
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