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Holundermond

Holundermond

Titel: Holundermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Wilke
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Alexander Holzer bis zur Unkenntlichkeit. Dann trat sie einen Schritt zurück und betrachtete zufrieden ihr Werk.
    Der Historiker Dr. Stephan Alexander Holzer gehörte der Vergangenheit an. Für Bruder Stephanus war das Tor durch die Zeit nun für alle Ewigkeit verschlossen.
    Die Erleichterung, die Nele fühlte, als Viviane den Pinsel auf den Altar legte, ließ sie plötzlich ganz ruhig werden. Sie sah Flavio, der völlig erschöpft auf den Treppenstufen zum Altar saß. Sie sah Johanna, die bei Viviane stand und ihr half, die Farben wieder zu verschließen. Und sie sah Giovanni, der nach einem kurzen Moment der Starre auf seinen Sohn zustürzte und ihn in seine Arme riss.
    Und in diesem Moment fiel Nele wie ein Stein zurück in die Wirklichkeit.
    Die Beine sackten ihr weg und sie ließ sich auf den kalten Steinboden gleiten. Sie zog die Knie an und schlang die Arme fest um ihre Knie. In ihrem Kopf drehte sich alles, sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen und presste den Kopf zwischen ihre Arme.
    »Nele?« Viviane berührte sie sanft an der Schulter, aber Nele antwortete ihr nicht. Sie wollte nicht mehr aufschauen, wollte nichts sehen von der Wahrheit, die sie getroffen hatte wie ein Blitz.
    »Nele, es ist vorbei. Komm, steh auf.« Vivianes sanfte Stimme konnte den Schmerz nicht lindern, der von ihr Besitz ergriffen hatte.
    Mit tränennassem Gesicht schaute Nele auf und sprach den Gedanken aus, der sich schärfer in ihr Herz gebohrt hatte, als Holzers Messer es jemals gekonnt hätte: »Jan. Jan ist nicht da.«

32
    Auch wenn er ihren Schmerz nicht lindern konnte, tat der heiße Tee, den Giovanni gekocht hatte, Nele gut. Vorsichtig nippte sie an der dampfenden Tasse und zog die Decke noch ein bisschen enger um ihre Schultern.
    Dankbar lächelte sie Giovanni aus tränennassen Augen an.
    Obwohl die Ereignisse in der Kirche ihn sicher am meisten erschreckt hatten, gewann Giovanni als Erster die Fassung zurück. Er hatte Nele einfach vom Fußboden aufgehoben und in seinen Armen aus der Kirche getragen. Die anderen waren ihm stumm gefolgt. Giovanni öffnete ihnen das Kartausencafé, brachte Nele eine warme Wolldecke, die er ihr über die Schultern legte, und ging dann in die Küche, um Tee zu kochen.
    Nele gab sich alle Mühe, die Tränen zurückzuhalten. Jan würde nicht schneller wieder auftauchen, wenn sie jetztdie Nerven verlor. Beschämt beobachtete sie Johanna, die Giovanni half, den Tisch zu decken. Johanna war so viel tapferer als sie. Obwohl sie wusste, dass ihre Eltern nie wieder zurückkommen würden, obwohl ihr kleiner Bruder immer noch krank in dem Seuchenhaus lag, gelang es dem Mädchen, ruhig zu bleiben.
    »Da wird sich Holzer jetzt aber mächtig ärgern«, raunte ihr Flavio zu. »So viel Stress und jetzt liegt sein heiß begehrtes Schwert auf dem Grund eines alten Brunnens, den es nicht mehr gibt.«
    »Holzer würde sich noch viel mehr ärgern, wenn er wüsste, dass das Schwert im Brunnen gar nicht das echte ist«, sagte Viviane und wies mit dem Kopf zum Nachbartisch.
    Flavio riss die Augen auf. Dort lag das Flammenschwert des Erzengels Michael. Unversehrt. »Wie – wie kommt das hierher?«, stotterte er.
    Viviane lächelte. »Theophil hat das echte Schwert in der Mariahilfer Kirche gegen eine Kopie ausgetauscht. Das ist ihm gerade noch rechtzeitig gelungen.«
    »Ich fass es nicht!« Flavio stieß Nele an. »Ich habe mein Leben für eine Kopie aufs Spiel gesetzt!«
    Aber Nele antwortete ihm nicht. Was hätte sie auch sagen sollen? Dass sie das Schwert kein bisschen interessierte? Dass Holzer ihretwegen alle gestohlenen Gegenstände haben konnte, wenn er ihr nur Jan wiedergab?
    »Wo sind eigentlich die anderen Gegenstände geblieben?« Giovanni setzte sich zu ihnen.
    Viviane seufzte. »Holzer hat sie sicher irgendwo versteckt. Sie werden ihm aber jetzt nichts nutzen, weil ihm das Flammenschwert fehlt. Leider dürften die Schale, der Engel und der Kelch aber auch für uns verloren sein.«
    Johanna schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht.« Es war das erste Mal, dass sie seit Holzers Verschwinden überhaupt etwas sagte, und Nele schaute erstaunt auf.
    Auch die anderen blickten Johanna erwartungsvoll an, und Nele konnte sehen, wie unangenehm es dem Mädchen war, plötzlich so im Mittelpunkt des Interesses zu stehen.
    »Was weißt du von den anderen Gegenständen?«, fragte Viviane, während sie Johanna behutsam einen Löffel Honig in den Tee rührte. »Hast du gesehen, wohin Holzer sie gebracht

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