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Holundermond

Holundermond

Titel: Holundermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Wilke
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hat?«
    Johanna nippte vorsichtig an dem heißen Getränk, bevor sie antwortete: »Ich habe ja nicht gewusst, wer der Fremde war, aber als ich diesen Holzer heute gesehen habe, habe ich ihn sofort wiedererkannt. Das ist der Mann, dem ich durch das Bild gefolgt bin.«
    »Aber was hat Holzer in deiner Zeit gesucht?«, wollte Flavio wissen. Er schob sich einen Keks in den Mund und leckte sich die Krümel von den Fingern.
    Nele musste gegen ihren Willen lächeln. Flavio konnte aber auch nichts den Appetit verderben. Sie musste an ihren gemeinsamen Besuch auf dem Naschmarkt denken. Es schien Jahre her zu sein, dass sie dort türkischen Honig probiert hatten. Aber in Wirklichkeit waren gerade mal zwei Tage vergangen.
    Johanna rührte gedankenverloren in ihrer Tasse. »Ich glaube nicht, dass er etwas gesucht hat. Ich glaube eher, dass er etwas verstecken wollte. Das Bündel unter seinem Arm hat mich darauf gebracht. Die zwei Male, in denen ich ihn gesehen habe, trug er auch jeweils so ein Bündel unter dem Arm. Und jedes Mal hatte er es sehr eilig, wieder aus der Kirche herauszukommen.«
    »Konntest du denn sehen, wohin Holzer die Sachen gebracht hat?« Man konnte Giovanni ansehen, dass es ihm nach wie vor schwerfiel, die Geschehnisse rund um das Altarbild zu akzeptieren.
    Die Gegenstände. Immer drehte sich alles nur um diese vier Gegenstände. Nele biss sich auf die Zunge, um Johanna nicht zu unterbrechen. Am liebsten hätte sie jedoch geschrien, dass es ihr völlig egal sei, wohin Holzer die Sachen gebracht hatte. Sie wollte wissen, wo Jan war. Nele starrte auf den Verband an Flavios Hals und konnte nicht verhindern, dass ihr wieder die Tränen in die Augen schossen. Flavio hatte Glück gehabt, viel Glück. Was, wenn Jan nicht so viel Glück gehabt hatte? Wie durch einen Schleier hörte sie Johanna weitersprechen. Sie erzählte, dass Holzer mit seinen Paketen immer hinter dem Altarbild verschwunden war, um kurz darauf wieder ohne Bündel durch das Altarbild zu verschwinden.
    »Die Tür hinter dem Gemälde?« Flavio sprang auf. »Na klar! Das ist die Tür zum Speicher! Los, kommt. Wir gucken auf dem Speicher nach.« Flavio wollte sofort losstürzen, aber Giovanni hielt ihn am Ärmel fest.
    »Warte! Nicht so schnell. Ich weiß ja immer noch nicht, was von euren Geschichten alles stimmt. Aber wenn mich nicht alles täuscht, hat Johanna von ihrer Zeit geredet, nicht von unserer. Du wirst also heute Nacht kaum etwas auf dem Speicher finden. Davon abgesehen ist es dort jetzt stockdunkel und viel zu gefährlich.«
    Nele sah die Enttäuschung in Flavios Gesicht, als er sich wieder auf den Stuhl sinken ließ. Giovanni hatte recht. Trotzdem löste der Gedanke an den Speicher etwas in ihr aus. Dort hatten sie Jans Notizbuch gefunden. Das Notizbuch. Warum hatte sie nicht schon früher daran gedacht? Nele sprang auf und zerrte das Buch aus ihrer Jackentasche. Vielleicht fanden sie darin ja doch noch irgendeinen Hinweis auf Jans Verbleib. Vielleicht hatten sie etwas übersehen oder eine Zeichnung falsch gedeutet. Es war immer noch ein seltsames Gefühl, in dem Buch zu blättern, das ihr Vater stets wie einen Schatz gehütet hatte. Nele kam sich vor, als würde sie sich Zutritt zu einer Welt verschaffen, dir ihr eigentlich verboten war.
    Sie strich behutsam über den schwarzen Deckel, bevor sie das Gummiband entfernte, mit dem das Notizbuch zusammengehalten wurde. Für einen kurzen Moment zögerte sie, das Buch aufzuschlagen. Dass es in ihrem Besitz war, hatten sie bisher verschwiegen. Aber hier ging es um das Leben ihres Vaters und vielleicht konnten die anderen mit der einen oder anderen Notiz mehr anfangen als sie.
    Viviane nahm ihr das Buch vorsichtig aus der Hand und blätterte mit gerunzelter Stirn darin. »So langsam fange ichan zu begreifen, warum Holzer Angst vor deinem Vater hatte«, sagte sie und strich mit dem Finger vorsichtig über eine der Zeichnungen. »Jan ist der Wahrheit sehr nahe gekommen. Sicher zu nahe für Holzers Geschmack.«
    »Kannst du damit etwas anfangen?« Nele beugte sich über den Tisch, um auch einen Blick in das Buch werfen zu können.
    Viviane nickte. »Das Meiste habt ihr ja selbst schon herausgefunden. Jan hat die vier Gegenstände gezeichnet. Die Anfangsbuchstaben um die Windrose sind die Initialen der vier Evangelisten. Sie stehen genauso wie die Erzengel und die Himmelsrichtungen für die vier Elemente. Die Zahl Vier spielt ein wichtige Rolle.«
    Flavio zeigte auf das Kreuz in Jans Notizbuch.

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