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Holundermond

Holundermond

Titel: Holundermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Wilke
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mit dir?«, fragte Flavio und leuchtete ihr mit seiner Kerze direkt ins Gesicht. »Warum sagst du nichts? Ist es nicht toll? Es hat funktioniert! Wir sind durch das Gemälde gegangen und jetzt suchen wir die Schatzkammer. Los, komm!« Er griff ihre Hand und zog Nele die ersten Treppenstufen hinauf. Flavios Hand fühlte sich warm an und stark. In diesem Moment wünschte sich Nele, er würde sie nie mehr loslassen.
    Sie atmete tief durch. Flavio hatte recht. Jetzt waren sie hier. Jetzt sollten sie auch nach der Schatzkammer suchen. Sie fasste in ihre Jackentasche und fühlte den Glücksstein. Ein beruhigendes Gefühl durchströmte sie. Jan. Sie würde seinen Weg weitergehen und das Geheimnis um die gestohlenen Kirchenschätze lüften. Sie nickte Flavio kurz zu und begann, hinter ihm die Treppe emporzusteigen.
    Je höher sie stiegen, desto mehr flackerten die Flammen. Es war kalt und zugig in dem alten Gemäuer, und zweimal mussten sie anhalten, um die Kerzen wieder anzuzünden. Nele ging so dicht wie möglich hinter Flavio, um ihre Kerze vor der Zugluft zu schützen. Plötzlich blieb Flavio vor ihr stehen.
    »Was ist?«, flüsterte Nele.
    »Die Tür«, Flavio zeigte nach oben. »Wir sind da. Hier ist tatsächlich eine Tür!«
    Nele schaute an Flavio vorbei, und als sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, sah sie es auch. Nur ein paar Stufen von ihnen entfernt befand sich eine kleine unscheinbare hölzerne Tür. Diese hatte es bei ihrem letztenBesuch auf dem Speicher nicht gegeben. Neles Puls beschleunigte sich. Mit einem Mal hatte sie das Gefühl, der Lösung des Rätsels und damit Jan ganz nah zu sein. Die Sehnsucht ergriff wieder von ihr Besitz und ließ ihren Körper ganz kraftlos werden.
    »Hier, halt mal.« Flavio reichte ihr seine Kerze.
    Nele griff danach und hätte sie um ein Haar fallen gelassen. Sie hatte kaum Gefühl in den Fingern. Heißes Wachs tropfte auf ihre Haut, aber sie war so aufgewühlt, dass sie den Schmerz kaum spürte. Sie atmete tief ein und versuchte, wieder ruhig zu werden.
    Flavio machte sich mit seinem Messer an dem alten rostigen Schloss zu schaffen. Nele seufzte. Die Tür sieht nicht so aus, als hätte sie in den vergangenen hundert Jahren irgendjemand benutzt, dachte sie mutlos.
    »Ich hab’s!« Aufgeregt drehte Flavio sich zu ihr um und griff nach seiner Kerze. Dann öffnete er mit einem lauten Quietschen die Tür zu der geheimnisvollen Kammer.
    Jan hatte die letzten Stunden in vollkommener Dunkelheit verbracht. Kein Lichtstrahl drang in die Kammer und inzwischen hatte er völlig die Orientierung verloren. Er hätte nicht mehr sagen können, ob es jetzt Tag war oder Nacht.
    Nachdem Holzer gegangen war, hatte er so lange gegen die Tür getrommelt und geschrien, bis sein Hände blutig waren und seine Stimme versagte, aber niemand hatte ihn gehört, so wie Holzer es vorausgesagt hatte. Irgendwannwar sein Rufen zu einem Wimmern geworden und dann war er weinend auf dem Fußboden zusammengebrochen. Nele. Immer wieder musste er an Nele denken. Hoffentlich ging es ihr gut. Und hoffentlich kam sie über den Schmerz hinweg, ohne Vater groß zu werden. Da wo er war, würde ihn niemand finden, so viel stand fest. Irgendwann wurde die Müdigkeit stärker als der Schmerz und Jan fiel in einen tiefen traumlosen Schlaf.
    Als er wieder zu sich kam, konnte er nicht sagen, wie lange er auf dem Fußboden gelegen hatte. Alle Knochen taten ihm weh, und seine Glieder waren so steif, dass er es kaum schaffte aufzustehen. Nur mühsam hangelte er sich an dem Türgriff hoch und begann mit kleinen Schritten, sich an den Wänden entlangzutasten. Der Raum war winzig, höchsten drei Meter lang und zwei Meter breit. Plötzlich stieß er mit dem Fuß gegen etwas. Er kauerte sich auf den Boden und befühlte den Gegenstand mit den Händen. Es waren mehrere in rauen Stoff gewickelte Pakete. Aufgeregt versuchte er, die Kordel eines der Päckchen zu lösen. Er rutschte jedoch immer wieder mit den Fingern ab, die immer noch taub vor Schmerz waren.
    Als er endlich eines der Bündel vom Stoff befreien konnte, wusste er sofort, was er da in seinen Händen hielt. Eine Schale, eine flache runde Schale. Er sah sie vor sich, wie der Maler Celesti sie vor vielen Jahren auf dem Altarbild verewigt hatte. Vor vielen Jahren? Vielleicht war er dem Maler näher, als ihm lieb war. Jan legte die Schale wieder behutsam auf den Boden. Hier waren also dieGegenstände, nach denen er so lange gesucht hatte. Die Gegenstände, für

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