Holy Shit
kannte man schon bei den Sexualwissenschaften, doch bei den Malediktologen, wie man die Spezialisten fürs Fluchen und Schimpfen nennt, stößt man bis heute auf diese Vorurteile und Anfeindungen. Fluchforscher wie Reinhold Aman mussten sich vor universitären Flachfliegern rechtfertigen, die, bloß weil man unter Gelehrten und bürgerlichen Menschen Kraftausdrücke und Fluchen tabuisiert hatte, die Erforschung dieses Bereichs für ebenso tabu erklären wollten: Diese Kritiker der Malediktologen seien keine seriösen Akademiker, meint Aman, es seien »Kakademiker«. Was diese »Scheißwissenschaftler« sich mit ihren Ressentiments entgehen lassen: ein faszinierendes Studienfeld, das Erkenntnisseüber unsere Schimpfgewohnheiten, über Spracherwerb, Sozialisation, die Funktionsweise unseres Gehirns sowie die Hintergründe seltsamer Krankheiten ermöglicht.
Gut jedenfalls, dass es Leute wie Reinhold Aman oder Timothy Jay gibt, die sich nicht abhalten ließen, ernsthafte Malediktologen zu werden und ihre Forschungen auf ein breites und belastbares Fundament zu stellen. Vor allem auf Jay, der hunderte Studien auswertete und selbst empirisch forschte, kann ich mich in diesem Kapitel stützen.
Früh geschimpft und nie aufgehört. Unser Fluchleben vom Kleinkindalter bis ins Altersheim
Kein Elternteil erzählt es gern, aber zu den frühesten Wörtern, die ein Baby brabbelt, gehören außer »Mama«, »Papa«, »Auto« ebenso »Scheiße«, »Mist«, »Kacka«. In anderen Ländern sieht es nicht besser aus. Kaum der Sprache mächtig, produzieren die Nachkommen Tabuausdrücke. Entsetzt, belustigt, verwirrt oder auch verlegen reagieren die Eltern darauf und fragen sich schuldbewusst, was sie nur falsch gemacht haben.
Nichts! Selbst kleinste Kinder lernen schnell, vorurteilsfrei, allerdings nicht wahllos. Was besondere Wirkung erzielt, nehmen sie besonders stark wahr. Wenn also in ihrer Umgebung sich Mama oder Papa streiten, wenn Onkel oder Tanten sich ärgern, wenn Passanten ironisch fluchend das hübsche Kindlein loben, dann fallen Worte, die dem Bereich der Kraftausdrücke angehören. Die Kleinen wiederholen automatisch die neuen Töne, was man »Echolalie« nennt und bei gesunden Kindern den Spracherwerb vorantreibt: hören, reproduzieren, abspeichern, reproduzieren, adaptieren, abspeichern und so weiter.
Was folgt als Reaktion auf diese kindliche Wiederholung eines»bösen Wortes«? Siehe oben: Entsetzen, Belustigung, Verwirrung, Verlegenheit. Das Kind merkt unmittelbar, dass es mit diesem Wort große Wirkung erzielt. Ob negative oder positive, das ist erst einmal egal. Nicht selten wiederholt es das Wort, manchmal sehr oft hintereinander. Wieder löst es damit eine wesentlich stärkere Reaktion bei den Erwachsenen aus, als wenn es einfach »Ball« sagte.
Das klingt nach instrumenteller Konditionierung, also einer Art Dressur. So einfach liegen die Dinge nicht, aber das Phänomen spielt eine wichtige Rolle im Flucherwerb. Ohne Zweifel führt die starke Reaktion auf die Verwendung von sozial tabuisierten Wörtern dazu, dass sie beim sprachlich hochsensiblen Kleinkind an einer bestimmten Stelle des Hirns gespeichert werden.
Je nach sozialem Umfeld lernt das Kind im Laufe der Jahre, dass manche Wörter in manchen Situationen unerwünscht oder verboten sind, ihr Gebrauch bestraft und unterbunden wird. Ein innerer Zensor tritt auf den Plan, und damit steigert sich die Bedeutung der Wörter noch. Im Trotzalter kann man mit ihnen Erwachsene herrlich auf die Palme bringen. In Abwesenheit von Kontrollfiguren wie Eltern oder Lehrern probieren Kinder diese Wörter begeistert untereinander aus. Natürlich auch, wenn im Zorn die internen Kontrollen versagen, was in der Pubertät regelmäßig der Fall ist. Gleichwohl steckt Methode hinter dem Fluchen. Jugendliche setzen sich mit dem Gebrauch von tabuisierten Wörtern von der Erwachsenenwelt ab und sichern sich mit kreativem, rücksichtslosem, ausgiebigem Fluchen die Anerkennung ihrer Altersgenossen. Kein Wunder, dass bei ihnen Häufigkeit und Drastik der Kraftausdrücke hoch sind.
Im Erwachsenenleben hängt der Gebrauch von Schimpfwörtern extrem vom sozialen Umfeld ab, in dem sich Menschen einrichten müssen. Niemand hört je auf zu fluchen, aber die meisten lernen, dass es in sehr vielen Situationen desöffentlichen und privaten Lebens starke Reaktionen auf Tabubegriffe aus den Bereichen Sex, Tod, Verdauungstrakt/Ausscheidungen oder körperlich-geistige Mängel gibt. In
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