Holz und Elfenbein
Körper wie eine gespannte Bogensehne als Alexis‘ Finger tief in ihm diesen einen süßen Punkt gestreift hatten. Alexis rutschte nach oben, dass er weiterhin Federicos Gesicht betrachten konnte.
»Sieh mich an«, forderte er leise. Noch bevor Federico kam, sah er es in dessen Augen. Jener scheinbar endlos lange Moment bevor es einen buchstäblich mit sich riss. Ein letztes Mal krümmte sich Federico unter ihm, presste Alexis‘ Finger eng zusammen. Seine Lippen formten ein perfektes ›O‹ und gaben einen ebenso perfekten leisen Schrei von sich, den Alexis noch in seinem Innersten spürte. Oder zumindest redete er sich das ein.
Sie hatten danach kein Wort mehr gewechselt, Federico war sofort eingeschlafen. Doch Alexis lag noch eine weitere Stunde wach und wollte einfach nicht zur Ruhe kommen. Obwohl ihm der gleichmäßige Atem Federicos, der über seine Brust strich, doch sonst immer ein Gefühl der Geborgenheit gab. Alexis stand leise auf, vorsichtig um Federico nicht zu wecken, zog sich einen Pullover und Shorts über und ging ins Wohnzimmer. Er schaltete nur die Stehlampe neben seiner Orgel ein und begann zu spielen. Natürlich nicht laut, er benutzte die Kopfhörer und beachtete auch kaum die Noten, die auf dem Pult lagen.
Es war nicht so, dass er Federico nicht verstand. In Wirklichkeit konnte er ihn sogar sehr gut verstehen. Alexis hatte eine ganz ähnliche Phase durchlebt als er angefangen hatte regelmäßig Konzerte zu geben und durch ganz Großbritannien gereist war. Er hatte sich ebenso unerbittlich und ohne Rücksicht auf den eigenen Körper zu immer besseren, perfekteren Vorführungen gezwungen. Doch im Gegensatz zu Federico hatte er eine Familie hinter sich stehen gehabt, die ihn davor bewahrten nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. Allen voran Mary-Alice, seine drei Jahre ältere Schwester, die für ihr Alter schon immer sehr reif und vernünftig gewesen war. Ihrem Ratschlag hatte er mehr Beachtung geschenkt als dem seiner Eltern.
Federico hatte diesen Rückhalt nicht, für ihn gab es niemanden, der ihn auf diese Weise erden konnte. Oder, es hatte niemanden gegeben. Es war jetzt wohl an Alexis diese Rolle zu erfüllen, wie er mit einem gewissen Schrecken feststellte. Schrecken, weil Alexis ahnte, wie wichtig es für Federico war so einen Menschen an seiner Seite zu haben. Schrecken, weil Alexis trotz aller Zuneigung und Leidenschaft nicht wusste, ob er stark genug und bereit dazu war. Ob er diese Verantwortung wirklich tragen wollte und konnte. Mit einem Mal hatte auch er wieder Angst. Er war noch nie eine ernsthafte Beziehung eingegangen. Die Männer vor Federico – und Henry, verdammt ja, er auch - waren entweder nur für eine Nacht gewesen oder wenn es denn mal länger angedauert hatte, dann war es auch nur Sex gewesen. Er schüttelte den Kopf um diesen Gedankengang sofort wieder abzuwürgen. Ja, er konnte Federico durchaus verstehen. Punkt.
Wütend war Alexis jedoch darauf, dass Federico ihn angelogen hatte und wahrhaftig darauf hatte er jedes Recht wütend zu sein.
Doch schon bald hatte er jeglichen bewussten Gedanken, so beunruhigend er auch sein mochte, ausgeblendet. Keine Sorgen mehr um Federicos Zustand, ihr kleines Techtelmechtel auf dem Bett, ihr Streit, seine einkalkulierte Grobheit als er Federico mit den Fingern gefickt hatte.
Sanft trugen seine Finger das Thema der Fuge fort, wobei er sich nicht erinnern konnte, dass er begonnen hatte eine Fuge spielen. Fugen hatten diesen beruhigenden Effekt auf ihn. Ihre klare Struktur, linear und streng. Fast schon mathematisch nüchtern. Alexis vermochte sich völlig auf die einzelnen Stimmen zu konzentrieren, dann wieder auf ihr Zusammenspiel. Alles harmonisch, perfekt. Alles fügte sich zusammen. Brauchten andere ruhiges Meeresrauschen von einer CD um sich zu entspannen, benötigte Alexis dazu nur eine Fuge von Bach.
Schon lange hatte er frei gespielt, das ursprüngliche Thema Bachs immer mehr verändert und variiert, so dass es jetzt kaum noch als solches zu erkennen war. Wie ein Töpfer, der mit einem Klumpen Ton arbeitet. Es war der gleiche Prozess. Hier fügte man etwas hinzu, da schnitt man etwas weg.
So versunken war er, dass er Federico nicht bemerkt hatte, der sich auf der Couch niedergelassen hatte. Er trug Alexis‘ Morgenmantel, den Gürtel nur nachlässig verknotet, so dass seine Brust zu sehen war. Ob dies Absicht war oder nicht, vermochte Alexis nicht zu beurteilen.
»Wie lange bist du schon hier?«, fragte
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