Home Run (German Edition)
bewusst.«
»Weiß sonst noch jemand, dass Sie hier sind?«
»Nein, Sir. Nur Sie.«
Er holt tief Luft und starrt die Tischlampe an, während er versucht, seine Gedanken zu ordnen. Auf der Uhr an der Wand ist es zehn nach fünf. Ich warte nervös. Entweder wirft er mich jetzt aus seinem Büro oder beschließt, dass wir uns noch ein wenig unterhalten. Ich tippe auf Letzteres, schließlich ist er Reporter und daher neugierig.
»Wo lebt Ihr Vater jetzt?«, fragt er.
»Florida. Er hat die Familie verlassen, als ich zwölf war, und wir hatten all die Jahre kaum Kontakt zu ihm. Wir stehen uns nicht sehr nah. Das war schon immer so.«
»Hat er Sie hergeschickt?«
»Nein. Er weiß nichts davon.«
»Darf ich fragen, was genau Sie hier wollen?«
»Ich will mit Joe Castle reden, und ich hoffe, dass Sie die Familie kennen.«
»Das tue ich, und ich kenne sie gut genug, um Ihnen sagen zu können, dass Joe nicht mit einem Fremden reden wird. Und mit dem Sohn von Warren Tracey schon mal gar nicht.«
6
Sonntag, 15 . Juli 1973 . Mit einundvierzigtausend fanatischen Fans war das Wrigley Field wieder bis auf den letzten Platz besetzt. Vor dem Stadion hatten sich etwa zehntausend weitere versammelt, die versuchten, an Eintrittskarten zu kommen, Bier tranken, Radio hörten und alles unternahmen, um möglichst nahe zu sein, wenn Baseballgeschichte geschrieben wurde. Die Spannung wurde noch dadurch gesteigert, dass Juan Marichal für die Giants aufs Feld ging, was bei einem Gastspiel sowieso schon für mehr Zuschauer sorgte. Seine beste Zeit war zwar vorbei, doch Marichal konnte trotzdem noch jede Mannschaft besiegen. Ein Wind-up mit einem hohen Leg-Kick, hervorragende Ballkontrolle, einschüchternde Taktik und verbissene Zielstrebigkeit sorgten dafür, dass Marichal immer eine Gefahr war. In den letzten dreizehn Jahren hatte er in vielen Spielen im Wrigley Field gepitcht und weitaus öfter gewonnen als verloren.
Er verschwendete keine Zeit. Als Joe in der zweiten Hälfte des ersten Innings an die Plate trat, richtete Marichal seinen ersten Pitch direkt auf dessen Schulter. Joe stürzte und wäre um ein Haar schwer verletzt worden. Das Wrigley Field explodierte fast. Aus dem Dugout der Cubs wurden Drohungen und Flüche in Richtung des Wurfhügels geschickt, wo Marichal den Ball in der Hand wog, lächelte und sich seinen nächsten Pitch überlegte. Joe, der in seinem vierten Spiel noch als Rookie galt, wusste, dass der Moment noch nicht gekommen war, sich mit dem Pitcher anzulegen und den Wurfhügel zu stürmen. Dieses Recht musste er sich erst noch verdienen, was aber nicht mehr lange dauern würde. Nicht die Nerven verlieren, hatte ihm sein Bruder Red geraten. Sie werden bald anfangen, auf dich zu werfen.
Der nächste Pitch war ein Fastball, und Joe, der von links schwang, hämmerte den Ball an der Foul-Linie des Right Field entlang, eine Granate, die die Verteidigung erstarren ließ und die Zuschauer verblüffte. Der Ball war eindeutig ein Foul, doch er stieg immer höher, bis er schließlich weit in der oberen Tribüne landete. Der Pitch war etwa fünfzehn Zentimeter außerhalb und fast einhundertfünfzig Stundenkilometer schnell gewesen, doch Joe hatte ihn mühelos in einen Foul Ball verwandelt. Marichal war beeindruckt. Willie McCovey an der ersten Base machte einen Schritt nach hinten, was Joe nicht entging. Der dritte Pitch war ein Fastball, der nah auf den Körper geworfen wurde. Joe nahm den Schläger quer und ließ den Ball abtropfen. Marichal hatte gerade gepitcht und stand nicht so, dass er den Ball fangen konnte. McCovey schätzte den Ball falsch ein. Tito Fuentes rannte los, um die erste Base zu decken, was ihm aber nicht gelang. Der Ball rollte zwölf Meter weit an der Baseline entlang und hüpfte dann leicht nach links. Als McCovey ihn aufnahm, war Joe Castle schon an der ersten Base vorbei. Vierzehn in vierzehn.
McCovey sagte kein Wort zu dem Jungen. Als die Menge sich wieder beruhigt hatte, machte sich Marichal für den nächsten Pitch bereit und sah Dave Rader an der Home Plate an. Marichal ging in seinen Stretch, machte wie immer seinen hohen Leg-Kick, und als er den Ball losließ, war Joe schon auf halbem Weg zur zweiten Base. Raders Wurf zu Fuentes war perfekt, kam aber viel zu spät. Nachdem Joe lässig in die zweite gerutscht war, sprang er auf und sah Marichal an. Dann zuckte er mit den Schultern, grinste und breitete die Arme aus, als wollte er sagen: »Du wirfst nicht ungestraft auf mich.«
Zwei
Weitere Kostenlose Bücher