Home Run (German Edition)
mal, auf der Straße, was aber sowieso nie passieren würde, da Joe nur selten in der Stadt unterwegs ist, aber wenn Sie ihn zufällig treffen und versuchen würden, ihn zu begrüßen, würde er einfach weitergehen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Joe sich mit einem Fremden unterhalten würde. So was gibt es einfach nicht. Im Laufe der Jahre hatten wir immer mal wieder einen Journalisten hier, der nach Material gesucht hat. Es ist schon lange her, dass ein paar Artikel über ihn geschrieben wurden, in denen man sehr unschöne Dinge über ihn gesagt hat.«
»Zum Beispiel?«
»Joe ist hirngeschädigt. Joe ist behindert. Joe ist verbittert. Und so weiter. Die Familie misstraut jedem, der hier auftaucht und über Joe reden will. Deshalb würden sie es auch nie erlauben, dass Sie mit ihm sprechen.«
»Könnte ich mit seinen Brüdern reden?«
»Wer bin ich, dass ich Ihnen das sagen kann? Da sind Sie auf sich allein gestellt, aber ich würde es Ihnen nicht empfehlen. Red und Charlie sind sehr nett, aber auch hart im Nehmen. Und wenn es um ihren kleinen Bruder geht, können sie sehr schnell unangenehm werden. Sie gehen nie ohne Waffe aus dem Haus, wie viele Leute hier. Jagdgewehre und dergleichen.«
Der Lemon Gin tut seine Wirkung, und ich bin gern bereit, über alles Mögliche zu reden, nur nicht über Gewehre. Ich trinke einen großen Schluck, genau wie Mr. Rook, und einen Moment lang sind die surrenden Flügel der Deckenventilatoren die einzigen Geräusche. »Haben Sie ihn im Wrigley Field spielen sehen?«, frage ich schließlich.
Auf seinem Gesicht erscheint ein breites, nostalgisches Lächeln, und er nickt. »Zweimal. Fay und ich sind in dem Sommer damals Anfang August nach Chicago gefahren. Der Artikel in der Sports Illustrated war gerade erschienen, und die Welt konnte gar nicht genug von Joe Castle bekommen.«
»Wie sind Sie an Eintrittskarten gekommen?«
»Die waren vom Schwarzmarkt. Viele Leute von hier wollten unbedingt nach Chicago zu einem Spiel mit ihm, doch Gerüchten zufolge gab es keine Eintrittskarten mehr. Joe bekam für jedes Spiel eine Handvoll Karten, um die immer ein heftiger Kampf entbrannte. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich einmal morgens Kaffee in der Stadt trank und Mr. Herbert Mangrum hereinkam. Er hatte Geld und war gerade nach Pittsburgh geflogen, um die Cubs zu sehen. Herb redete gern und wollte gar nicht mehr aufhören, uns allen zu erzählen, dass er Joe in Pittsburgh gesehen habe.«
»Dann sind Sie also ohne Eintrittskarten nach Chicago gefahren?«
»Genau, aber ich hatte einen Kontakt. Und dann hatten wir Glück und bekamen sogar Karten für zwei Spiele. Nach dem ersten habe ich mit Joe gesprochen. Der Junge war überglücklich. Wir waren so stolz auf ihn.«
»Welche Spiele?«
»Am 9 . und 10 . August, gegen die Braves.«
»Da haben Sie das Beste verpasst. Am nächsten Tag bekam er den Platzverweis.«
Mr. Rook fährt sich mit der Zunge über die Lippen und wirft mir einen sonderbaren Blick zu. »Sie kennen sich aus, stimmt’s?«
»O ja, Sir, ich kenne mich aus.«
»Könnten wir das mit dem ›Sir‹ und dem ›Mister‹ nicht mal lassen? Sagen Sie Clarence zu mir und Fay zu meiner Frau.«
»Okay, Clarence. Was möchten Sie über die kurze, glückliche und tragische Karriere von Joe Castle wissen?«
»Wie viele Spiele hat er absolviert?«, fragt Clarence, obwohl er die Antwort schon kennt.
»Achtunddreißig, und die Box Score von jedem einzelnen kenne ich auswendig. Wenn er am 11 . August, einen Tag nachdem Sie ihn spielen sahen, nicht vom Platz gestellt worden wäre, hätte er dreiundvierzig gespielt.«
Clarence lächelt, nickt und trinkt einen großen Schluck. »Sie irren sich, Paul. Er hätte dreitausend Spiele gespielt, wenn es diesen Beanball nicht gegeben hätte.« Er stellt das Glas auf den Tisch, steht auf und sagt: »Bin gleich wieder da.«
Er kommt mit einem Karton zurück, den er auf den Boden neben die Couch stellt. Er entnimmt ihm vier dicke Ringordner, die alle den gleichen Einband haben und in mustergültiger Ordnung sind, und stellt sie auf den Tisch. »Das Buch, das ich nie geschrieben habe – die Geschichte von Joe Castle. Vor vielen Jahren habe ich mit dem ersten Kapitel angefangen und es dann irgendwann sein lassen. Nicht mein einziges unvollendetes Projekt. Ich glaube, die Welt ist ein besserer Ort, weil ich dazu neige, alles auf die lange Bank zu schieben.«
»Wie kann der Herausgeber einer Zeitung etwas auf die lange Bank schieben?
Weitere Kostenlose Bücher