Home Run (German Edition)
Tribune für zehn Minuten in das Krankenzimmer kam. Der Reporter fragte Joe, wie er sich fühle. »Mir ging’s schon mal besser« war seine Antwort. Es hieß, er stehe unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln und sei nicht immer ansprechbar. Auf dem Foto, das den Artikel begleitete, war Joe Castle mit dick verbundenem Kopf zu sehen, als wäre er im Krieg verletzt worden. Auch sein rechtes Auge war mit Mull bedeckt. Das Auge machte den Ärzten große Sorgen.
Das Mount Sinai wurde überflutet mit Karten, Blumen, Geschenken und Besuchern, die Joe sehen wollten. Im Erdgeschoss war in einem großen, offenen Foyer eine Art Schrein für Joe errichtet worden. In der Mitte befand sich ein großes Foto von ihm, das gleiche, das auch für die Titelseite der Sports Illustrated verwendet worden war. Links und rechts davon hingen lange, breite Korkplatten, auf die Hunderte von Fans Zettel, Karten und Briefe an Joe gesteckt hatten. Unter den Pinnwänden standen Pappkartons, die mit Blumen, Pralinen und anderen Geschenken gefüllt waren.
Tom und ich schrieben Briefe, die wir den anderen allerdings nicht lesen ließen, bevor wir sie in Umschläge steckten. Um Joes Aufmerksamkeit zu bekommen, begann mein Brief mit: »Lieber Joe, ich heiße Paul Tracey und bin der Sohn von Warren. Was mein Vater getan hat, tut mir sehr leid.« Dann schrieb ich, dass ich seine Karriere genau verfolgt hatte, dass ich ihn für den Größten hielt und dass es ihm hoffentlich bald besser ging und er wieder spielen konnte.
Am Samstagmorgen nahmen wir den Zug in die Stadt. Es war ein herrlicher Herbsttag. Die Blätter verfärbten sich allmählich und raschelten im Wind, während wir durch den Central Park gingen. Als wir das Krankenhaus in der Fifth Avenue betraten, sahen wir ein handgemaltes Schild, auf dem JOE - CASTLE - WAND stand und ein Pfeil nach links deutete. Wir fanden die Wand und pinnten unsere Briefe nebeneinander und so nah an seinem Foto wie möglich an die Korkplatte. Eine Mitarbeiterin des Krankenhauses erklärte uns, dass die Briefe, Karten und Geschenke alle zwei oder drei Tage eingesammelt würden und später an Mr. Castle übergeben werden sollten. Dann bedankte sie sich dafür, dass wir gekommen waren.
»Wo ist er?«, fragte ich.
»Dritter Stock, aber da kannst du nicht hin«, erwiderte sie.
»Wie geht es ihm heute?«
»Ich habe gehört, dass es ihm besser geht.« Sie hatte recht. Den Zeitungen zufolge machte Joe langsam Fortschritte, doch ein Comeback schien zweifelhaft zu sein. Wir blieben noch ein paar Minuten und sahen uns das Sammelsurium an Briefen, Karten und Geschenken an. Ich warf einen Blick in die breiten Korridore, in denen die in Krankenhäusern übliche Hektik herrschte. Am liebsten hätte ich mich unauffällig davongemacht, den Fahrstuhl gesucht und es irgendwie bis in den dritten Stock geschafft, um mich dort in Joes Zimmer zu schleichen und mit ihm zu reden. Doch ich war so vernünftig, es nicht zu tun.
Mr. Sabbatini war in der Lower East Side aufgewachsen und kannte die Stadt so gut wie ein Taxifahrer. Außerdem war er ein Fan der Yankees, aber ein netter. Er hatte Karten für ein Spiel, und wir verbrachten den sonnigen Nachmittag damit, den Yankees zuzusehen, die mit Thurman Munson, Graig Nettles und Bobby Murcer gegen die Orioles spielten, für die Brooks Robinson, Boog Powell und Paul Blair antraten.
Tom und ich sahen ein, dass wir etwas voreingenommen gewesen waren, als wir uns die National League als einzigen möglichen Arbeitgeber in der Zukunft ausgesucht hatten. Wir diskutierten darüber, dass wir vielleicht auch für ein Team der American League spielen könnten. Mr. Sabbatini hielt das für sehr vernünftig.
Doch irgendetwas war anders. Meine Träume waren nicht mehr ganz so klar und aufregend. Meine Begeisterung für das Spiel nicht mehr ganz so groß. Ich alberte mit Tom herum, als wir darüber sprachen, welche Teams der American League für uns infrage kämen. Wir wogen die wichtigen Faktoren ab – Mannschaftsfarben, Stadiongröße, Siegstatistik, große Spieler der Vergangenheit und so weiter –, aber es machte nicht mehr so viel Spaß wie noch vor ein paar Monaten.
Mr. Sabbatini hörte zu und lachte und gab gute Ratschläge. Er war ein ausgesprochen freundlichen Mann, der sich Zeit für uns nahm und nur Nettes sagte. An dem Tag kümmerte er sich ganz rührend um mich. Er wusste, dass meine Welt aus den Fugen geraten war, und wollte mir zu verstehen geben, dass er auf meiner Seite
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