Home Run (German Edition)
nicht sprechen wollen.
Wir haben Flüge nach Little Rock gebucht, und ich komme zwei Stunden vor ihm an. Ich esse etwas zu Mittag, schlage die Zeit tot, arbeite ein bisschen auf meinem Laptop und suche mir dann eine Stelle, von der aus die ankommenden Passagiere gut zu sehen sind. Es ist ein kleiner Flughafen mit zahlreichen offenen Bereichen, Tageslicht und nicht allzu vielen Leuten.
Bei unserem letzten Telefongespräch sagte Warren, die Ärzte hätten ihm die Reise verboten, was ihn in seinem Entschluss nur noch bestärkt habe. Schließlich gab er zu, dass der Krebs nun sein Leben bestimme und dass er mit der Chemo aufgehört habe. »Ich glaube nicht, dass ich Weihnachten noch erleben werde«, sagte er, als würde ihm das Fest etwas bedeuten.
Weinachten. Als ich acht Jahre alt war, spielte er über Winter Baseball in Venezuela und war an Weihnachten nicht zu Hause. Jill und ich öffneten unsere Geschenke unter dem Weihnachtsbaum, und meine Mutter weinte sich die Augen aus. Ich frage mich, ob Warren sich an all das erinnert, woran ich mich erinnere.
Zusammen mit anderen Passagieren aus Atlanta kommt er mir entgegen. Er trägt eine Mütze, weil er keine Haare mehr hat, und seine Schritte sind langsam, aber zielstrebig. Er ist zu einem kleinen Mann mit einer mädchenhaften Taille und einer Trichterbrust zusammengeschrumpft. Er zieht einen kleinen Rollkoffer hinter sich her, und sein Blick sucht nach mir.
Fast hätte ich aus ökologischen Gründen einen Hybrid gemietet, aber dann fällt mir gerade noch ein, dass wir darin stundenlang Schulter an Schulter sitzen werden. Stattdessen sind wir jetzt in einem SUV mit so viel Platz wie möglich zwischen den beiden Vordersitzen. Bis Little Rock hinter uns liegt, sagen wir nicht viel.
Er ist in zwei Monaten um zehn Jahre gealtert, und ich verstehe, warum seine Ärzte gegen die Reise waren. Er nickt häufig ein und sagt lange gar nichts, und dann kommt plötzlich ein richtiger Türöffner: »Gott, bin ich froh, von Agnes weg zu sein.«
Ich muss lachen und denke daran, welch überraschende Wendung unser Gespräch jetzt nehmen kann. »Die Wievielte ist sie eigentlich – Nummer fünf oder sechs?«, frage ich.
Eine Pause, während er rechnet. »Agnes ist Nummer fünf. Karen war die Vierte. Florence die Dritte. Daisy die Zweite. Deine Mutter war die Erste.«
»Beeindruckend, dass du dich noch an den Line-up erinnern kannst.«
»Oh, einige Dinge vergisst man nie.«
»Welche war deine Lieblingsfrau?«
Er überlegt eine Weile. Wir sind auf einer zweispurigen Straße, die durch Farmland führt. »Ich habe keine Frau so geliebt wie deine Mutter. Aber wir haben zu jung geheiratet. Also, wenn es um Liebe geht: deine Mutter. Wenn es um Geld geht: Florence. Und beim Sex war Daisy einsame Spitze.«
»Tut mir leid, dass ich gefragt habe.«
»Daisy war Stripperin. Gott, was für ein Körper.«
»Du hast uns wegen einer Stripperin verlassen?«
»Wenn du sie auf der Bühne gesehen hättest, würdest du mir keinen Vorwurf machen.«
»Wie lange warst du mit ihr verheiratet?«
»Nicht lange. Ich weiß es nicht mehr. Und ich habe euch nicht wegen einer Stripperin verlassen. Die Ehe mit deiner Mutter war schon am Ende, als ich Daisy kennengelernt habe.«
»In einem Stripklub?«
»Aber natürlich. Wo lernt man eine Stripperin denn sonst kennen?«
»Ich weiß es nicht. Auf diesem Gebiet habe ich keine Erfahrung.«
»Schön für dich.«
»Warst du Mom jemals treu?«
»Nein«, erwidert er, ohne zu zögern.
»Warum nicht?«
»Ich weiß es nicht«, seufzt er. »Warum tun Männer das, was sie tun? Warum verlieren sie ein Vermögen am Spieltisch, warum bringen sie sich mit Alkohol um oder heiraten durchgeknallte Frauen? Ich weiß es nicht. Hast du mich in diese gottverlassene Gegend geschleppt, nur um mich zu fragen, warum ich hinter den Frauen her war?«
»Nein. Inzwischen ist es mir auch egal.«
»Wie geht es deiner Mutter?«
»Gut. Ich besuche sie ein paarmal im Jahr. Sie ist noch genauso schön wie früher.« Fast hätte ich hinzugefügt, dass sie erheblich besser aussieht als Agnes, aber dann lasse ich es.
»Weiß sie, dass ich krank bin?«
»Ja, ich habe es ihr im August gesagt, kurze Zeit nachdem ich es erfahren hatte.«
»Ich bezweifle, dass es ihr etwas ausmacht.«
»Sollte es ihr was ausmachen?«
Er holt tief Luft und nickt dann ein. Insgeheim bete ich darum, dass er jetzt ein langes, zwei Stunden dauerndes Nickerchen macht. Er hat starke Schmerzen, und wenn er
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