Home Run (German Edition)
Was halten sie davon?«
»Sie waren nicht gerade begeistert, jedenfalls nicht gleich am Anfang. Genau genommen gefiel ihnen nicht, dass Sie dabei sein werden.«
»Werden sie mich erschießen, wenn ich wiederkomme?«
»Nein. Mit der Zeit konnten sie sich für die Idee erwärmen, und sie haben sogar versprochen, mit Joe zu reden und herauszufinden, was er davon hält. Ich habe ihnen gut zugeredet, aber eigentlich geht es mich ja gar nichts an. Wie lief das Gespräch mit Ihrem Vater?«
Ich beschließe, es mit der Wahrheit nicht allzu genau zu nehmen. »Ich glaube, der Anfang ist gemacht. Wir haben sehr offen miteinander geredet, eine Menge alter Familiengeschichten, nichts, was Sie hören wollen. Das Problem ist, er will einfach nicht wahrhaben, dass er Krebs hat, und ich werde ihn erst überreden können, wenn er akzeptiert, dass er stirbt.«
»Der arme Kerl.«
»Mag sein, aber ich konnte einfach nicht so viel Mitgefühl aufbringen, dass er mir leidgetan hat.«
Ich erkundige mich nach Fay, und dann geht uns allmählich der Gesprächsstoff aus. Eine Stunde später steige ich in das Flugzeug nach Dallas.
Sara und die Mädchen warten schon auf mich, und wir setzen uns zu einem späten Abendessen an den Tisch. Die Mädchen haben keine Ahnung, wo ich gewesen bin oder was ich gemacht habe, daher reden wir über das Wochenende, an dem wir einen Campingausflug in die Berge machen wollen. Aber Sara ist neugierig. Als die Mädchen aus dem Zimmer sind und wir den Tisch abräumen, erzähle ich ihr alles.
»Und jetzt?«, fragt sie.
»Ich habe keine Ahnung. Vielleicht sollte ich ein paar Wochen warten und Warren dann anrufen, nach seiner Chemo fragen, vielleicht noch mal auf Joe zu sprechen kommen.«
»Wie war das mit deinem Lieblingsspruch? Nicht mal den halben Weg …«
»Nicht mal den halben Weg zur ersten Base geschafft. Genau, das beschreibt meinen Besuch bei Warren sehr gut. Er ist immer noch ein harter Hund, und wahrscheinlich nimmt er das Ganze mit ins Grab.«
»Bist du froh, dass du gefahren bist?«
»Und wie. Ich habe Joe Castle gesehen, und ich glaube, es geht ihm so gut wie unter diesen Umständen möglich. Ich habe mich mit Warren getroffen, was jetzt nicht viel bedeutet, aber eines Tages vielleicht doch wichtig sein könnte. Und – das Wichtigste – ich habe ein Glas Ozark Pfirsichbrandy getrunken.«
»Was ist das?«
»Schwarzgebrannter Schnaps.«
»Gibt’s das dort zum Essen?«
»Nein, nur nach dem Essen, zumindest bei den Rooks. Clarence sagt ›Digestif‹ dazu.«
»Wie schmeckt das Zeug?«
»Wie flüssiges Feuer.«
»Klingt lecker. Und gab es sonst noch etwas Aufregendes?«
»Eigentlich nicht.«
»Willst du Jill gleich anrufen?«
»Heute Abend nicht mehr. Später vielleicht. Ich glaube nicht, dass sie etwas über Warren hören will.«
Eine Woche später verlasse ich in der Mittagspause das Büro und fahre zu einer städtischen Baseballanlage, auf der die meisten meiner Freunde ihre Söhne in den verschiedenen Jugendligen trainiert haben. Bis auf einige Platzwarte sind die Felder leer. Die Saison ist vorbei. Ich steige auf die Tribüne des »großen Feldes«, eines regelkonformen Diamond mit einer Begrenzung hinter dem Center Field, die etwa einhundertzwanzig Meter von mir entfernt ist. Dann setze ich mich in den Schatten der Pressebox und esse einen Hühnchen-Wrap.
Wir haben den 24 . August 2003 . Vor dreißig Jahren habe ich mit meiner Mutter im Shea Stadium gesessen und zugesehen, wie mein Held Joe Castle an die Plate trat, um das Duell mit meinem Vater zu beginnen. Langsam entstehen die Bilder in meinem Kopf, und ich höre wieder das Geräusch, als Joe getroffen wird. Das Entsetzen, das Chaos, die Angst, den Rettungswagen, dann die Schlägerei und alles, was danach kam. Sein Schädel war an drei Stellen eingeschlagen. Sein Wangenknochen war gebrochen. Blut strömte aus seinen Ohren, und zuerst hielten die Ärzte ihn für tot.
Jetzt scheint das alles so weit weg zu sein. Der Beanball war das Ende zweier Karrieren, und ich bin mir nicht sicher, was er mit mir gemacht hat. Er hat Millionen Fans das Herz gebrochen, daher war ich nicht der Einzige, der gelitten hat. Aber mit Ausnahme meiner Eltern war ich der Einzige, der wusste, dass Joe am Kopf getroffen werden würde.
Ich frage mich, ob Joe an diesen Jahrestag denkt. Tut er, was ich gerade tue – allein auf einem Baseballfeld sitzen, an die Tragödie denken und sich nach dem sehnen, was hätte sein können? Blickt er in Bitterkeit
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