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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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er eigentlich beschützen sollte. Sein eigentliches Ziel blutetet aus vier Einschüssen von Kugeln, die am Toten vorbeigepfiffen waren, und Stanley Gwynn, der später wegen Totschlag zu fünfundzwanzig Jahren Haft verurteilt werden wird, rannte in Panik aus der Wohnung.
    Als die Detectives von der Tagschicht in der Früh um halb sieben zur Ablöse kommen, liegt der Fall Roy Johnson als Akte H88014 schon sauber abgeheftet auf dem Schreibtisch des Verwaltungsleiters. Eine Stunde später befindet sich Dick Fahlteich auf dem Heimweg, um rasch zu duschen, ehe er zurückfährt, um bei der Autopsie dabei zu sein. Landsman wird sich gegen acht Uhr schlafen legen.
    Doch während das Sonnenlicht und der Lärm der morgendlichen Rush Hour durch das Fenster im fünften Stock dringen, sitzt Tom Pellegrini über all dem, was ihm der Fall H88013, der Mord an der Kreuzung Gold und Etting, auf den Schreibtisch gespült hat. Mit Kaffee abgefüllt und aus dunkel umrandeten Augen starrt er halb blind auf den Bericht des ersten Officers am Tatort, auf die Ergänzungen, auf die Zettel der Spurensicherung, den Einlieferungsbeleg für die Leiche und die Fingerabdruckformulare von Rudolph Newsome. Eine Viertelstunde später wäre Tom Pellegrini vielleicht der Schießerei am Gatehouse Drive zugeteilt worden, wo ein überlebendes Opfer und eine Zeugin zur Aufklärung beigetragen und die Liste der gelösten Fälle um einen weiteren ergänzt hätten. Pellegrini aber hat Gold und Etting abbekommen, wo ihm ein sechsundzwanzigjähriger Toter in plötzlicher stummer Erkenntnis entgegenblickte. Reine Glückssache.
    Nach Landsmans Aufbruch beschäftigt sich Pellegrini weitere zehn Stunden mit den Details seines Glücksgriffs. Er ordnet die Unterlagen, erledigt den Anruf bei einem stellvertretenden Staatsanwalt, um die Vorladung der Thompson vor die Grand Jury zu besorgen, und leitet die Habseligkeiten des Opfers an die Spurensicherung im Keller des Gebäudes weiter. Später am Morgen meldet sich ein Streifenpolizist aus dem Western District wegen eines jungen Dealers, der während der Nachtschicht festgenommen wurde und behauptet, mehr über die Schießerei an der Gold Street zu wissen. Der Junge will offenbar reden, wenn man ihm in seiner Drogengeschichte entgegenkommt. Pellegrini leert seinen fünften Becher Kaffee, ehe er zum Western fährt und diekurze Aussage des Jungen aufnimmt. Er will nach den Schüssen drei Männer gesehen haben, die von der Gold Street Richtung Norden gelaufen sind. Einen der Männer würde er kennen, sagt er, wüsste jedoch nur, dass er Joe heißt – das ist gerade so konkret, dass es ins reale Szenario passt, aber auch so vage, dass es für den Ermittler nutzlos bleibt. Pellegrini bezweifelt sogar, dass der Junge wirklich dabei war. Vielleicht hatte er während seiner Nacht in der Zelle etwas aufgeschnappt und zusammengebastelt, um sich aus seiner Drogengeschichte herauszumogeln.
    Zurück im Morddezernat heftet der Detective seine Notizen der Aussage in die Akte des Falls H88013, dann schiebt er den Ordner auf dem Schreibtisch des Verwaltungsleiters – der seine Frühschicht mittlerweile bereits wieder beendet hat – unter den von Roy Johnston. Die guten Nachrichten zuerst. Pellegrini gibt einem Detective im Spätdienst die Schlüssel seines Cavalier und fährt kurz nach neunzehn Uhr nach Hause.
    Vier Stunden später ist er zur Nachtschicht wieder da und kreist wie eine Motte um die rote Kontrolllampe der Kaffeemaschine. Als er mit einem vollen Becher in der Hand den Mannschaftsraum betritt, beginnt Landsman wieder mit seinen Spielchen.
    »He, Phyllis«, sagt der Sergeant.
    »Hallo, Sarge.«
    »Dein Fall ist gelöst, oder?«
    »Mein Fall?«
    »Ja.«
    »Welchen meinst du?«
    »Den neuen«, sagt Landsman. »Den von der Gold Street.«
    »Tja«, sagt Pellegrini und lässt die Worte auf der Zunge zergehen. »Ich bin so weit, einen Haftbefehl ausstellen zu lassen.«
    »Ach ja?«
    »Ja.«
    »Aha.« Landsman bläst seinen Zigarettenrauch in Richtung des Fernsehgeräts.
    »Es gibt nur ein Problem.«
    »Und das wäre?« Landsman grinst jetzt.
    »Ich weiß noch nicht, auf wen.«
    Landsman lacht, bis er sich am Zigarettenrauch verschluckt.
    »Keine Sorge, Tom«, sagt er schließlich. »Wir werden den Fall schon lösen.«
    Und das ist der Job:
    Du sitzt hinter einem regierungseigenen Metallschreibtisch im fünften Stockwerk eines zehngeschossigen Gebäudes aus Stahl und Glas, einer Todesfalle mit schlechter Belüftung, nicht

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