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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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fünf Jahre zurückliegen, aufzuklären. Solche Beharrlichkeit sollte auch Niederschlag in der Statistik finden. Auf der anderen Seite verlangen die Richtlinien nicht, das Verbrechen selbst in die Statistik des laufenden Jahrs aufzunehmen. So ist es theoretisch möglich, dass eine amerikanische Mordkommission neunzig von hundert Mordfällen des laufenden Jahrs sowie zwanzig aus früheren Jahren löst und somit eine Aufklärungsquote von 110 Prozent meldet.
    Mit solchen Taschenspielertricks werden am Ende jedes Jahres gewagte Statistiken ausgetüftelt. Wenn die Aufklärungsquote für das zu Ende gehende Jahr hoch genug ist, kann ein Sergeant, der sein Geschäft versteht, eine Verhaftung, die eigentlich schon im Dezember fällig ist, bis zum Januar hinausschieben, um schon mal für die Statistik des nächsten Jahrs vorzuarbeiten. Umgekehrt kann ein Commander, für den Fall, dass die Aufklärungsquote für das zu Ende gehende Jahr ein bisschen mickrig ausfällt, eine zwei- oder dreiwöchige Gnadenfrist einräumen, in der die Januar-Aufklärungen von Dezember-Verbrechen noch im alten Jahr mitgezählt werden. Die rein auf dem Papier gelösten Fälle und die Kalendertricksereien können einer Mordkommission zusätzlich fünf bis zehn Prozentpunkte bringen. Sinkt aber die Aufklärungsquote insgesamt in den Keller, hilft keine noch so geschickte Manipulation mehr.
    In dieser misslichen Lage befand sich D’Addario jetzt, und in den letzten vierundzwanzig Stunden hatte sie sich noch verschärft. Seine Detectives hatten fünf neue Morde aufgenommen – und nur einer davon war ein Dunker. Kincaid hatte den Fall übernommen: ein Zweiundfünfzigjähriger, der tot in seiner Wohnung in der Fulton Avenue lag. Ein jüngerer Mann hatte ihm im Streit den Schädel eingeschlagen. Der Täter war sein Untermieter, der ein Dampfbügeleisen benutzte, umdas physikalische Gesetz zu demonstrieren, dass nicht zwei Gegenstände zur selben Zeit am selben Ort sein können. In der Nachtschicht hingegen lagen die Dinge nicht so klar. McAllister und Bowman hatten im Nordosten eine Schlägerei aufgenommen, und ein paar Stunden später hatte Bowman erfahren, dass sein Schussopfer von vor drei Nächten im Universitätskrankenhaus das Zeitliche gesegnet hatte. In beiden Fällen gab es nicht den geringsten Hinweis auf einen Verdächtigen, und Fahlteich war später an diesem Abend mit demselben Problem konfrontiert, als er in einer Seitenstraße der Wabash Avenue eine Schießerei mit tödlichem Ausgang aufnahm.
    Doch all das war nur das Vorspiel zu dem, was letztlich den Ausschlag gab: In einem bewaldeten Park am nordwestlichen Stadtrand hatte man noch die Leiche eines Taximords gefunden. Da es in acht Jahren der fünfzehnte Mord dieser Art war, wurde er als Red Ball behandelt, nicht nur, weil es einen schlechten Eindruck macht, wenn eine Stadt die Jagd auf ihre Taxifahrer zulässt, sondern weil das Opfer eine Frau war. Nackt von der Hüfte abwärts. Ermordet. Im Nordwesten von Baltimore.
    Das ergab in dem Bezirk sechs Frauenmorde seit Dezember, und alle sechs ungelöst. Ein Zusammenhang zwischen ihnen bestand nicht: In zwei Fällen handelte es sich um Raubmorde mit unverkennbar unterschiedlichen Merkmalen, in zwei anderen um Drogenmorde, in einem um einen Streit und in diesem letzten um Taxiraub und wahrscheinlich Vergewaltigung. Aber die Häufung offener Fälle machte mittlerweile Schlagzeilen, weshalb die Frauenmorde im Northwestern District die gesammelte Aufmerksamkeit der oberen Polizeietage genossen.
    D’Addario, der offenbar Feuer unterm Hintern spürte, begab sich selbst zum Fundort der Leiche des jüngsten Taximords. Und mit ihm der Captain. Selbstverständlich fanden sich auch der Bezirkschef von Northwest und der oberste Polizeisprecher dort ein. Donald Worden war unterwegs, aber der Rest von McLarneys Truppe folgte ebenfalls dem Funkspruch, wobei Rick James die Rolle des leitenden und Eddie Brown die des zweiten Ermittlers übernahm. Es machte nichts, dass er ohne den Big Man losziehen musste; James war jemand, der seine Überstunden zählte, und demnach war er fällig für einen neuen Mordfall.Drei Wochen lang hatte er sich an seinem Schreibtisch ganz vorn im Büro rumgelümmelt, über die vielen Nebenstellen geflucht und sich insgeheim gewünscht, die Leitstelle würde ihm einen richtig großen Fall schicken, einen Red Ball, der viele Stunden beanspruchte.
    »Telefon … Ich gehe ran«, rief er von Zeit zu Zeit; er grapschte sich jeden Anruf

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