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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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sich auf der Talsohle befinden.
    Die Aufklärungsquote – Mordfälle, die durch eine Festnahme abgeschlossen werden – beträgt 36 Prozent bei fallender Tendenz, eine statistische Zahl, die harmlos aussieht, sich aber auf D’Addarios Karriere verheerend auswirken könnte. Die Tafel im Kaffeeraum, die Seiner Eminenz vor sechs Wochen Anlass zur Besorgnis gab, füllt sich weiterhin mit unaufgeklärten Morden, und es ist eine Warnung an D’Addario, dass die Namen der Opfer rot geschrieben sind. Von den fünfundzwanzig Mordfällen, mit denen sich Dees drei Mordkommissionen befassen, sind nur fünf gelöst; Stantons Truppe hingegen hat zehn von sechzehn aufgeklärt.
    Natürlich gibt es Gründe für diese unterschiedlich hohe Aufklärungsquote, doch letztlich zählt für die Polizeiführung nur, dass Stantons Detectives wissen, wer ihre Opfer umgebracht hat, und D’Addarios Leute nicht. Mit dem Einwand, dass drei Fünftel von D’Addarios Mordfällen mit Drogen zu tun haben und sieben der von Stantons Truppe aufgeklärten Morde Beziehungstaten waren oder sich auf vergleichbare Streitigkeiten zurückführen lassen, braucht man gar nicht zu kommen. Und es bringt auch nichts, darauf hinzuweisen, dass zwei oder drei Fallakten auf Eis gelegt worden waren, um Leute für die Latonya-Wallace-Truppe freizustellen, oder darauf, dass Dave Brown einen Haftbefehl für einen der Milligan-Morde ausgestellt hat, während Garveys Aussichten, sowohl die Lucas- als auch die Booker-Akte abzuschließen, nicht schlecht stehen.
    All das ist nebensächlich, solche haarspalterischen Fallanalysen interessieren niemanden, wenn es um die Aufklärungsquote geht. Der unerschütterliche Glaube an die Statistik ist die eigentliche Religion jeder modernen Polizeibehörde. Captains werden Majors, Majors Colonels und diese Deputys, wenn die Zahlen stimmen; sind sie schlecht, entsteht bald Stau auf der Karriereleiter. Und diese schlichte Wahrheit, die jeder oberhalb des Rangs eines Sergeant für selbstverständlich hält, bringt D’Addario nun ziemlich in die Klemme – nicht nur, weil sich seine Zahlen im Vergleich zu Stantons mickrig ausmachen, sondern auch, weil sie nicht den in ihn gesetzten Erwartungen entsprechen.
    Die Aufklärungsquote für Mord ist in Baltimore im Lauf von sieben Jahren ständig gesunken, von 84 Prozent 1981 auf 73,5 Prozent 1987. Zum Glück für manche Commander und ihre Karriere meldete die Mordkommission in den ganzen letzten zehn Jahren nie eine Aufklärungsquote, die unter dem Landesdurchschnitt lag, der ebenfalls sank von 76 Prozent 1984 auf 70 Prozent 1987.
    Das Morddezernat von Baltimore konnte seine Aufklärungsquote durch gute, solide Polizeiarbeit und ein bisschen Zahlenzauberei noch halbwegs halten. Wer immer behauptet hat, es gäbe drei Sorten von Lügen, nämlich einfache, dreckige und Statistiken, der sollte noch eine weitere Kategorie für die Daten von Strafverfolgungsbehörden hinzufügen. Wer einmal mehr als eine Woche in der Planungsabteilung einer Polizeibehörde zugebracht hat, weiß, dass die Aufklärungsquote für Einbruch nicht bedeutet, dass überhaupt ein einziger Täter tatsächlich geschnappt worden ist, und der Anstieg der Kriminalitätsrate möglicherweise weniger auf einen Ausbruch krimineller Energie zurückzuführen ist als vielmehr auf den Wunsch der Behörde nach einer Budgetaufstockung. Auch die Mordaufklärungsquote ist vor solchen Manipulationen nicht gefeit – die stets im Einklang mit den Richtlinien des FBI für die landesweit einheitlichen Kriminalitätsberichte vorgenommen werden.
    Betrachten wir nur einmal die Tatsache, dass ein Fall als gelöst gilt, egal, ob er vor eine Grand Jury kommt oder nicht. Sobald man jemand hinter Gittern gebracht hat – ganz gleich, ob für eine Woche, einen Monat oder lebenslänglich –, zählt der Mord in der Statistik als aufgeklärt. Wenn die Sache wegen Mangel an Beweisen ohne Verurteilung ausgeht,wenn die Grand Jury keine Anklage erhebt, wenn der Strafverfolger den Fall abweist oder zu den Akten oder auf Eis legt, der entsprechende Mord wird dennoch als aufgeklärt verbucht. »Akte zu und durch« lautet die Devise bei solchen Fällen, die bloß auf dem Papier gelöst werden.
    Außerdem lassen die Bundesrichtlinien zu, dass auch die Aufklärung von Fällen aus dem vorangegangen Jahr in der Statistik mitzählen. Das ist nur vernünftig: Ein gutes Morddezernat zeichnet sich gerade durch die Fähigkeit aus, auch noch offene Fälle, die zwei, drei oder

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