Homicide
ab:
»… gesucht im Zusammenhang mit einem Mord in Fairfax, Virginia. Wer etwas über die Verdächtigen oder den Wagen beisteuern kann, melde sich bei der Polizei von Fairfax. Die Telefonnummer befindet sich auf dem Fernschreiben.«
»Und was haben wir da noch?«, sagt der Lieutenant und überfliegt einen neuen Ausdruck. »Ja wunderbar, noch ein Fernschreiben aus Florida … Nein … hm, muss geprüft werden. Ist schon drei Wochen alt.
Ach ja, hier noch eine letzte Sache … Neue Vorschrift aus der Verwaltung; ab sofort müsst ihr die Nummern der Benzinkarten auf euren Fahrtbögen eintragen, auch wenn die Karten nicht benutzt wurden.«
»Wozu denn das?«, fragt Kincaid.
»Sie brauchen eben die Nummer der Benzinkarte.«
»Und warum?«
»Schikane der Woche.«
»Mein Gott, freu ich mich schon auf meine Pension«, witzelt Kincaid und verzieht angewidert das Gesicht.
D’Addario unterbricht das Gelächter. »Gut, der Colonel möchte noch ein paar Worte sagen.«
Auweia!, denken alle anwesenden Cops, da ist wohl die Kacke so richtig am Dampfen. Als CID-Chef hat Dick Lanham nur selten Anlass, sich an eine bestimmte Einheit zu wenden oder zu einem bestimmten Fall zu äußern; dafür hat Gott Captains, Lieutenants und Sergeants geschaffen. Aber eine Mordaufklärungsrate, die mit jedem neuen Tag auf einen neuen Tiefpunkt sinkt, schmerzt offenbar auch einen ausgewachsenen Colonel.
»Nur ein paar Worte an alle«, beginnt Lanham und lässt den Blickdurch den Raum schweifen. »Ihr sollt wissen, dass ich absolutes Vertrauen zu dieser Einheit habe … Ich weiß, dass ihr harte Zeiten hinter euch habt. Eigentlich ist das ganze Jahr hart gewesen, aber das ist ja nichts Neues für diese Einheit, und ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass das auch mal wieder besser wird.«
Die Detectives räuspern sich verlegen und starren auf ihre Schuhe. Lanham setzt seine kleine Ansprache fort, die ein Balanceakt zwischen Lob und der hässlichen Wahrheit ist, die alle Anwesenden nur zu gut kennen: Die Mordkommission der Polizei von Baltimore kriegt gerade mächtig eins übergebraten.
Dabei geht es nicht um die Untersuchung des Latonya-Wallace-Falls oder die Ermittlungen in der Monroe Street, obwohl beide Fälle noch so offen wie ihre Arbeitstage lang sind. Aber zumindest hat die Polizei sich hier tadellos geschlagen, Mitarbeiter mobilisiert und Überstunden geschoben. Lanham, der nach einem Silberstreifen am Horizont sucht, muss das einfach anerkennen.
»Jeder, der auch nur den geringsten Einblick in diese Ermittlungen hat, weiß, wie hart da gearbeitet wurde«, sagt er.
Es geht auch nicht um die Zeitungsartikel an diesem Morgen, in der die NAACP in einem offenen Brief an den Bürgermeister die Polizei von Baltimore rundheraus kritisiert, weil sie rassistische Übergriffe nicht verhindert und – ein Vorwurf, der sich durch nichts belegen lässt – Verbrechen an Schwarzen weniger entschieden verfolgt.
»Ich möchte Ihnen nicht sagen, was ich von diesen Vorwürfen halte«, sagt der Colonel.
»Aber seien wir ehrlich«, fährt er fort, und nimmt auf diese Weise die Kurve, »unsere Aufklärungsquote ist derzeit sehr niedrig, und wenn Sie nicht alle mithelfen, wird es schwer sein, sie wieder dahin zu bekommen, wo wir sie haben wollen. Besonders, wenn wir noch einmal so eine Nacht haben wie die letzte … Vor allem müssen wir ein paar dieser verdammten Frauenmorde im Northwestern aufklären.«
Im Raum entsteht verlegene Unruhe.
»Der Captain und ich haben daher beschlossen, Leute aus dem sechsten Stock hinzuzuziehen, die mit den leitenden Ermittlern an diesen Fällen arbeiten sollen … Aber ich möchte betonen, dass das ein Hilfsangebot ist. Alle haben absolutes Vertrauen in die Detectives, diemit den Fällen beauftragt sind. Zumindest«, sagt der Colonel, um mit einer aufmunternden Bemerkung zu schließen, »zumindest ist das nicht so schlimm wie das, was in Washington vor sich geht.« Lanham nickt in Richtung D’Addario, der nun den Experten für Raub und Sexualdelikte das Feld überlässt.
»Ist das alles?«, fragt er. »Lieutenant, haben Sie noch etwas hinzuzufügen? Joe? … Das war’s dann also.«
Der Morgenappell ist zu Ende, und die Tagschicht der Mordkommission teilt sich in kleinere Grüppchen von Detectives, die sich um die Chevrolettes der Klasse Cavalier balgen, sich zum Gericht aufmachen oder an der Kaffeemaschine Witze reißen. Ein Tag wie jeder andere, aber in D’Addarios Truppe wissen jetzt alle, dass sie
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