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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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Aufklärungsrate lange vorbei war. Sie beklagten,dass das Telefon nach einem Mord nicht mehr so läutete wie früher, dass weniger Leute bereit waren, jemanden zu verpfeifen und damit zu riskieren, als Zeuge eines Gewaltverbrechens vor Gericht geladen zu werden.
    Eine äußerst ergiebige Meckerrunde. Nach gut vierzig Minuten droschen sie immer noch auf den toten Hund ein: »Man braucht ja nur nach Washington zu gucken«, sagte Brown. »Keine fünfzig Kilometer von hier.«
    Das Morddezernat des District of Columbia galt neuerdings unter den Detectives als eine Art Strafbataillon. Washington war 1988 auf dem besten Wege, den Spitzenplatz in der amerikanischen Mordstatistik zu belegen. Noch zwei Jahre zuvor hatten die amerikanische Hauptstadt und Baltimore ähnliche Zahlen gemeldet und um den nicht gerade ruhmreichen Status als die zehnttödlichste Stadt des Landes gewetteifert. Jetzt hingegen, nach einer Kokainepidemie und einer Serie von Drogenkriegen unter jamaikanischen Banden in den nord- und südöstlichen Vierteln, kämpfte die Polizei des District of Columbia mit einer doppelt so hohen Mordrate wie Baltimore. Die Folge war, dass das Washingtoner Morddezernat – eine der bestausgebildeten Ermittlungstrupps des ganzen Landes – eine Aufklärungsrate von kaum mehr als 40 Prozent vermeldete. Überschwemmt von einer Flut der Gewalt, hatte niemand Zeit für Nachermittlungen, für die Prozessvorbereitung oder für irgendwas außer dem Einsammeln der Leichen. Nach dem zu urteilen, was man in Baltimore so hörte, war im Washingtoner Dezernat Moral ein Fremdwort geworden.
    »Das wird hier auch so kommen, und alle werden sich einen Dreck darum scheren«, sagte Brown. »Wir brauchen nur zu warten, bis dieser Crack-Mist bei uns landet. In Northwest geht’s ja schon los mit den Jamaikanern – und, kümmert das jemanden? Nein, nicht im Geringsten. Diese Stadt geht den Bach runter, und dieses Dezernat wird nicht einmal wissen, wieso.«
    Fahlteich warf ein, in gewisser Weise stelle sich das Morddezernat selbst ein Bein: »Jedes Jahr haben wir eine überdurchschnittliche Aufklärungsquote, und so meinen die da oben, dass wir mit dem auskommen, was wir haben.«
    »Genau«, stimmte ihm Nolan zu.
    »Wenn wir also«, fuhr Fahlteich fort, »hingehen und um mehr Detectives bitten oder bessere Autos, bessere Funkgeräte oder mehr Fortbildung oder so was, gucken die da oben sich die Quote an und sagen: ›Scheiß drauf, die brauchen nicht mehr als letztes Jahr.‹«
    »Wir haben uns so lange mit so wenig abspeisen lassen, dass es jetzt auf uns zurückschlägt«, sagte Nolan. »Ich sag euch, noch zwei Nächte wie die letzte, und wir sind im Eimer.«
    »Sind wir doch sowieso schon«, meinte Fahlteich. »Bei dem jetzigen Stand können wir von Glück sagen, wenn wir über sechzig Prozent schaffen.«
    »He!, wenn nicht«, sagte Ed Brown, »wird es nicht beim Lieutenant aufhören. Dann rollen Köpfe, und nicht zu knapp.«
    »Sag bloß«, meinte Fahlteich.
    Und dann brachte Nolan alle zum Schweigen. »Ich glaube, es könnte das Jahr werden«, sagte er voller Ernst, »in dem der ganze Laden zusammenkracht.«
    Sie sind Bürger eines freien Landes, haben, seit Sie denken können, in einem Land mit garantierten Bürgerrechten gelebt, und dann begehen Sie ein Gewaltverbrechen. Man nimmt Sie hoch, Sie landen in einem Polizeirevier und werden in einen engen, fensterlosen Raum mit drei Stühlen und einem Tisch verfrachtet. Dort sitzen Sie etwa eine halbe Stunde, bis ein Detective – ein Mann, den Sie noch nie gesehen haben, ein Mann, der auf keinen Fall Ihr Freund sein kann – mit einem kleinen Stapel liniertem Schreibpapier und einem Kugelschreiber den Raum betritt.
    Der Mann bietet Ihnen eine Zigarette an, nicht Ihre Marke, und hält einen langen Monolog, schweift eine weitere halbe Stunde hierhin und dorthin, bis er schließlich an einem bekannten Ort zur Ruhe kommt:
»Sie haben das uneingeschränkte Recht zu schweigen.«
    Natürlich haben Sie das. Sie sind ein Verbrecher. Verbrecher haben stets das Recht zu schweigen. Garantiert haben Sie in Ihrem elenden Leben schon einmal im Fernsehen einen dieser langweiligen Serienkrimis gesehen. Sie glauben, Joe Friday hat Sie belogen? Sie glauben, Kojak hat sich diesen Quark ausgedacht? Keineswegs, wir reden hier von geheiligten Freiheiten, das heißt vom gottverdammten fünften Verfassungszusatzzum Schutz vor Selbstbelastung, he!, für Ollie North war der doch auch gut genug, wer also sind Sie, dass

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